Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Kritische Wälder.
Bildniß des Höchsten machen aus Autorität der
Schrift.

Da dies nicht ist: so lasse ich ihr Beispiel
weg, und vergleiche blos Foderung der Religion
und Bedürfniß der Kunst -- und siehe! fast über-
all Gegensatz. Gott der Unmeßliche -- das We-
sen der Kunst im Großen und Schönen sind Schran-
ken. Gott der Ewige, und siehe einen erzeugten
Körper. Gott der Allmächtige, der da will und
es geschieht; die Kunst kann keine Macht ausdrü-
cken ohne Ankündigung einer Bewegung. Gott
der Wirksame; die Kunst kennt keine Wirksamkeit
ohne Bewegung: Gott der Unwandelbare, und siehe!
jeder Ausdruck der Kunst wandelbar und wegeilend!
Wer kann ihn fassen? wer kann ihn bilden!

Der einzige würdige Ausdruck für ihn wäre
die seligste, allgnugsame Ruhe; allein auch da er-
scheint er nur als der seligste, allgnugsame Mensch:
und weil die menschliche Ruhe nur bei einer Feyer
von transitiven Handlungen möglich ist; so ist auch
alsdenn bei der gebildeten Gottheit der Begriff von
Unwirksamkeit beinahe unvermeidlich: der Begriff
von Allmacht, Allwissenheit, Allweisheit, Einwir-
kung wird in seinen Ausdruck der Ruhe verschlun-
gen, das Bild ist kein Gott mehr. Raphaels
schaffender Gott steht mit gesenktem Auge, mit zei-
gendem Finger:

Kann der bewundern, Er, der die Sterne gemacht hat!

Rapha-

Kritiſche Waͤlder.
Bildniß des Hoͤchſten machen aus Autoritaͤt der
Schrift.

Da dies nicht iſt: ſo laſſe ich ihr Beiſpiel
weg, und vergleiche blos Foderung der Religion
und Beduͤrfniß der Kunſt — und ſiehe! faſt uͤber-
all Gegenſatz. Gott der Unmeßliche — das We-
ſen der Kunſt im Großen und Schoͤnen ſind Schran-
ken. Gott der Ewige, und ſiehe einen erzeugten
Koͤrper. Gott der Allmaͤchtige, der da will und
es geſchieht; die Kunſt kann keine Macht ausdruͤ-
cken ohne Ankuͤndigung einer Bewegung. Gott
der Wirkſame; die Kunſt kennt keine Wirkſamkeit
ohne Bewegung: Gott der Unwandelbare, und ſiehe!
jeder Ausdruck der Kunſt wandelbar und wegeilend!
Wer kann ihn faſſen? wer kann ihn bilden!

Der einzige wuͤrdige Ausdruck fuͤr ihn waͤre
die ſeligſte, allgnugſame Ruhe; allein auch da er-
ſcheint er nur als der ſeligſte, allgnugſame Menſch:
und weil die menſchliche Ruhe nur bei einer Feyer
von tranſitiven Handlungen moͤglich iſt; ſo iſt auch
alsdenn bei der gebildeten Gottheit der Begriff von
Unwirkſamkeit beinahe unvermeidlich: der Begriff
von Allmacht, Allwiſſenheit, Allweisheit, Einwir-
kung wird in ſeinen Ausdruck der Ruhe verſchlun-
gen, das Bild iſt kein Gott mehr. Raphaels
ſchaffender Gott ſteht mit geſenktem Auge, mit zei-
gendem Finger:

Kann der bewundern, Er, der die Sterne gemacht hat!

Rapha-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0104" n="98"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Kriti&#x017F;che Wa&#x0364;lder.</hi></fw><lb/>
Bildniß des Ho&#x0364;ch&#x017F;ten machen aus Autorita&#x0364;t der<lb/>
Schrift.</p><lb/>
          <p>Da dies nicht i&#x017F;t: &#x017F;o la&#x017F;&#x017F;e ich ihr Bei&#x017F;piel<lb/>
weg, und vergleiche blos Foderung der Religion<lb/>
und Bedu&#x0364;rfniß der Kun&#x017F;t &#x2014; und &#x017F;iehe! fa&#x017F;t u&#x0364;ber-<lb/>
all Gegen&#x017F;atz. Gott der Unmeßliche &#x2014; das We-<lb/>
&#x017F;en der Kun&#x017F;t im Großen und Scho&#x0364;nen &#x017F;ind Schran-<lb/>
ken. Gott der Ewige, und &#x017F;iehe einen erzeugten<lb/>
Ko&#x0364;rper. Gott der Allma&#x0364;chtige, der da will und<lb/>
es ge&#x017F;chieht; die Kun&#x017F;t kann keine Macht ausdru&#x0364;-<lb/>
cken ohne Anku&#x0364;ndigung einer Bewegung. Gott<lb/>
der Wirk&#x017F;ame; die Kun&#x017F;t kennt keine Wirk&#x017F;amkeit<lb/>
ohne Bewegung: Gott der Unwandelbare, und &#x017F;iehe!<lb/>
jeder Ausdruck der Kun&#x017F;t wandelbar und wegeilend!<lb/>
Wer kann ihn fa&#x017F;&#x017F;en? wer kann ihn bilden!</p><lb/>
          <p>Der einzige wu&#x0364;rdige Ausdruck fu&#x0364;r ihn wa&#x0364;re<lb/>
die &#x017F;elig&#x017F;te, allgnug&#x017F;ame Ruhe; allein auch da er-<lb/>
&#x017F;cheint er nur als der &#x017F;elig&#x017F;te, allgnug&#x017F;ame Men&#x017F;ch:<lb/>
und weil die men&#x017F;chliche Ruhe nur bei einer Feyer<lb/>
von tran&#x017F;itiven Handlungen mo&#x0364;glich i&#x017F;t; &#x017F;o i&#x017F;t auch<lb/>
alsdenn bei der gebildeten Gottheit der Begriff von<lb/>
Unwirk&#x017F;amkeit beinahe unvermeidlich: der Begriff<lb/>
von Allmacht, Allwi&#x017F;&#x017F;enheit, Allweisheit, Einwir-<lb/>
kung wird in &#x017F;einen Ausdruck der Ruhe ver&#x017F;chlun-<lb/>
gen, das Bild i&#x017F;t kein Gott mehr. Raphaels<lb/>
&#x017F;chaffender Gott &#x017F;teht mit ge&#x017F;enktem Auge, mit zei-<lb/>
gendem Finger:</p><lb/>
          <p>Kann der bewundern, Er, der die Sterne gemacht hat!<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Rapha-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[98/0104] Kritiſche Waͤlder. Bildniß des Hoͤchſten machen aus Autoritaͤt der Schrift. Da dies nicht iſt: ſo laſſe ich ihr Beiſpiel weg, und vergleiche blos Foderung der Religion und Beduͤrfniß der Kunſt — und ſiehe! faſt uͤber- all Gegenſatz. Gott der Unmeßliche — das We- ſen der Kunſt im Großen und Schoͤnen ſind Schran- ken. Gott der Ewige, und ſiehe einen erzeugten Koͤrper. Gott der Allmaͤchtige, der da will und es geſchieht; die Kunſt kann keine Macht ausdruͤ- cken ohne Ankuͤndigung einer Bewegung. Gott der Wirkſame; die Kunſt kennt keine Wirkſamkeit ohne Bewegung: Gott der Unwandelbare, und ſiehe! jeder Ausdruck der Kunſt wandelbar und wegeilend! Wer kann ihn faſſen? wer kann ihn bilden! Der einzige wuͤrdige Ausdruck fuͤr ihn waͤre die ſeligſte, allgnugſame Ruhe; allein auch da er- ſcheint er nur als der ſeligſte, allgnugſame Menſch: und weil die menſchliche Ruhe nur bei einer Feyer von tranſitiven Handlungen moͤglich iſt; ſo iſt auch alsdenn bei der gebildeten Gottheit der Begriff von Unwirkſamkeit beinahe unvermeidlich: der Begriff von Allmacht, Allwiſſenheit, Allweisheit, Einwir- kung wird in ſeinen Ausdruck der Ruhe verſchlun- gen, das Bild iſt kein Gott mehr. Raphaels ſchaffender Gott ſteht mit geſenktem Auge, mit zei- gendem Finger: Kann der bewundern, Er, der die Sterne gemacht hat! Rapha-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/104
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/104>, abgerufen am 21.11.2024.