Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.Zweites Wäldchen. jene Prophetinnen, aus holem Bauche sprechen,Wortgespenster. Sie geben kein persönliches Jn- teresse, keine individuelle Handlung, keine einzelne Charakterprobe: sie rühren nicht, sie täuschen nicht[:] sie zerspringen, wie Wasserblasen.
Also in Jdyllen, Fabeln, Erzälungen, überall, Zuge a) Jch führe nur Eins an, den Rambler, eine Schrift voll Menschenkenhtniß, und voll schläfriger Allege- tien. H
Zweites Waͤldchen. jene Prophetinnen, aus holem Bauche ſprechen,Wortgeſpenſter. Sie geben kein perſoͤnliches Jn- tereſſe, keine individuelle Handlung, keine einzelne Charakterprobe: ſie ruͤhren nicht, ſie taͤuſchen nicht[:] ſie zerſpringen, wie Waſſerblaſen.
Alſo in Jdyllen, Fabeln, Erzaͤlungen, uͤberall, Zuge a) Jch fuͤhre nur Eins an, den Rambler, eine Schrift voll Menſchenkenhtniß, und voll ſchlaͤfriger Allege- tien. H
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0119" n="113"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Zweites Waͤldchen.</hi></fw><lb/> jene Prophetinnen, aus holem Bauche ſprechen,<lb/> Wortgeſpenſter. Sie geben kein perſoͤnliches Jn-<lb/> tereſſe, keine individuelle Handlung, keine einzelne<lb/> Charakterprobe: ſie ruͤhren nicht, ſie taͤuſchen nicht<supplied>:</supplied><lb/> ſie zerſpringen, wie Waſſerblaſen.</p><lb/> <cit> <quote> <lg type="poem"> <l> <hi rendition="#aq">The earth hath bubbles, as the water has,</hi> </l><lb/> <l> <hi rendition="#aq">And theſe are of them. Whither are them vaniſhed?</hi> </l> </lg> </quote> </cit><lb/> <p>Alſo in <hi rendition="#fr">Jdyllen, Fabeln, Erzaͤlungen,</hi> uͤberall,<lb/> wo es auf <hi rendition="#fr">vorgeſtellte Fiction</hi> ankommt? Kaum!<lb/> und eine lange allegoriſche Dichtung, ein allegori-<lb/> ſcher Traum macht mir in ſonſt vortrefflichen Wo-<lb/> chenblaͤttern <note place="foot" n="a)">Jch fuͤhre nur Eins an, den <hi rendition="#aq">Rambler,</hi> eine Schrift<lb/> voll Menſchenkenhtniß, und voll ſchlaͤfriger Allege-<lb/> tien.</note>, wenn er nicht außerordentlich kurz<lb/> iſt, Kopfſchmerzen. Wenn Allegorie Wahrheit<lb/> einkleiden ſoll, damit ſie mehr einnehme, und ſtaͤr-<lb/> kern Eindruck mache, ſo muß ſie dieſelbe nicht ver-<lb/> deck<supplied>en</supplied>, und den Augen wegſtehlen. Das Frap-<lb/> pante, das Außerordentliche im erſten Anblicke der<lb/> Entwickelung gefaͤllt, und laͤßt dauerhafte Spuren<lb/> in der Seele; wird mir aber ſeitenlang die Muͤhe<lb/> des Entwickelns zum ordentlichen Geſchaͤffte ge-<lb/> macht; — ſoll ich nicht die Frucht hinter den<lb/> Blaͤttern unvermuthet erhaſchen, ſondern zum Tag-<lb/> werke Blaͤtter klauben, eine ganze Fiction hindurch<lb/> die allegoriſchen Masken entkleiden, und bei jedem<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Zuge</fw><lb/> <fw place="bottom" type="sig">H</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [113/0119]
Zweites Waͤldchen.
jene Prophetinnen, aus holem Bauche ſprechen,
Wortgeſpenſter. Sie geben kein perſoͤnliches Jn-
tereſſe, keine individuelle Handlung, keine einzelne
Charakterprobe: ſie ruͤhren nicht, ſie taͤuſchen nicht:
ſie zerſpringen, wie Waſſerblaſen.
The earth hath bubbles, as the water has,
And theſe are of them. Whither are them vaniſhed?
Alſo in Jdyllen, Fabeln, Erzaͤlungen, uͤberall,
wo es auf vorgeſtellte Fiction ankommt? Kaum!
und eine lange allegoriſche Dichtung, ein allegori-
ſcher Traum macht mir in ſonſt vortrefflichen Wo-
chenblaͤttern a), wenn er nicht außerordentlich kurz
iſt, Kopfſchmerzen. Wenn Allegorie Wahrheit
einkleiden ſoll, damit ſie mehr einnehme, und ſtaͤr-
kern Eindruck mache, ſo muß ſie dieſelbe nicht ver-
decken, und den Augen wegſtehlen. Das Frap-
pante, das Außerordentliche im erſten Anblicke der
Entwickelung gefaͤllt, und laͤßt dauerhafte Spuren
in der Seele; wird mir aber ſeitenlang die Muͤhe
des Entwickelns zum ordentlichen Geſchaͤffte ge-
macht; — ſoll ich nicht die Frucht hinter den
Blaͤttern unvermuthet erhaſchen, ſondern zum Tag-
werke Blaͤtter klauben, eine ganze Fiction hindurch
die allegoriſchen Masken entkleiden, und bei jedem
Zuge
a) Jch fuͤhre nur Eins an, den Rambler, eine Schrift
voll Menſchenkenhtniß, und voll ſchlaͤfriger Allege-
tien.
H
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |