Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.Zweites Wäldchen. wenigsten eine wissenschaftliche Sprache war. Erbequemte sich also den Artikulationen der Zunge sei- ner Menschen, den Beugungen, und dem Wortge- brauche der lebenden Welt, in aller Unschuld und Einfalt seines Zeitalters. Wer kann ihn nun hö- ren, als ob er spräche? Tausend Wörter haben ih- ren Sinn allmälich umwandeln, oder sich in ihrem Gebrauche seitwärts biegen und verfeinern müssen. Müssen, ohne daß es jemand wollte, und bemerk- te; denn der Geist der Geist der Zeit veränderte sich. Man behielt immer das Wort, man glaubte auch im- mer, denselben Begriff zu haben; denn in der ge- meinen Sprache des Umganges wechselt man klare, und nicht deutliche Jdeen: und doch so, wie sich Le- bensart, und der Geist des Jahrhunderts änderte, so hatte sich auch der inwohnende Geist vieler Wör- ter verändert. Sehr spät endlich ward die Spra- che wissenschaftlich. Der Wörtersammler, der die Be- griffe aus einander setzen, deutlich machen sollte, fand einige vielleicht schon gar nicht in seiner leben- den Sprache; er mußte rathen, und die Muse ge- be, daß er unter hunderten nur einmal übel gerathen hätte. Bei einem andern definirte er nach dem Be- griffe seiner Zeit: wie aber, wenn dieser blos ein jüngerer, ein abstammender Begriff gewesen wäre? Bei einem dritten nahm er vielleicht gar nur eine verfeinernde Bedeutung des Philosophen, eine Ne- benbestimmung dieser und jener Schule, Provinz, Sekte,
Zweites Waͤldchen. wenigſten eine wiſſenſchaftliche Sprache war. Erbequemte ſich alſo den Artikulationen der Zunge ſei- ner Menſchen, den Beugungen, und dem Wortge- brauche der lebenden Welt, in aller Unſchuld und Einfalt ſeines Zeitalters. Wer kann ihn nun hoͤ- ren, als ob er ſpraͤche? Tauſend Woͤrter haben ih- ren Sinn allmaͤlich umwandeln, oder ſich in ihrem Gebrauche ſeitwaͤrts biegen und verfeinern muͤſſen. Muͤſſen, ohne daß es jemand wollte, und bemerk- te; denn der Geiſt der Geiſt der Zeit veraͤnderte ſich. Man behielt immer das Wort, man glaubte auch im- mer, denſelben Begriff zu haben; denn in der ge- meinen Sprache des Umganges wechſelt man klare, und nicht deutliche Jdeen: und doch ſo, wie ſich Le- bensart, und der Geiſt des Jahrhunderts aͤnderte, ſo hatte ſich auch der inwohnende Geiſt vieler Woͤr- ter veraͤndert. Sehr ſpaͤt endlich ward die Spra- che wiſſenſchaftlich. Der Woͤrterſammler, der die Be- griffe aus einander ſetzen, deutlich machen ſollte, fand einige vielleicht ſchon gar nicht in ſeiner leben- den Sprache; er mußte rathen, und die Muſe ge- be, daß er unter hunderten nur einmal uͤbel gerathen haͤtte. Bei einem andern definirte er nach dem Be- griffe ſeiner Zeit: wie aber, wenn dieſer blos ein juͤngerer, ein abſtammender Begriff geweſen waͤre? Bei einem dritten nahm er vielleicht gar nur eine verfeinernde Bedeutung des Philoſophen, eine Ne- benbeſtimmung dieſer und jener Schule, Provinz, Sekte,
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Zweites Waͤldchen.
wenigſten eine wiſſenſchaftliche Sprache war. Er
bequemte ſich alſo den Artikulationen der Zunge ſei-
ner Menſchen, den Beugungen, und dem Wortge-
brauche der lebenden Welt, in aller Unſchuld und
Einfalt ſeines Zeitalters. Wer kann ihn nun hoͤ-
ren, als ob er ſpraͤche? Tauſend Woͤrter haben ih-
ren Sinn allmaͤlich umwandeln, oder ſich in ihrem
Gebrauche ſeitwaͤrts biegen und verfeinern muͤſſen.
Muͤſſen, ohne daß es jemand wollte, und bemerk-
te; denn der Geiſt der Geiſt der Zeit veraͤnderte ſich. Man
behielt immer das Wort, man glaubte auch im-
mer, denſelben Begriff zu haben; denn in der ge-
meinen Sprache des Umganges wechſelt man klare,
und nicht deutliche Jdeen: und doch ſo, wie ſich Le-
bensart, und der Geiſt des Jahrhunderts aͤnderte,
ſo hatte ſich auch der inwohnende Geiſt vieler Woͤr-
ter veraͤndert. Sehr ſpaͤt endlich ward die Spra-
che wiſſenſchaftlich. Der Woͤrterſammler, der die Be-
griffe aus einander ſetzen, deutlich machen ſollte,
fand einige vielleicht ſchon gar nicht in ſeiner leben-
den Sprache; er mußte rathen, und die Muſe ge-
be, daß er unter hunderten nur einmal uͤbel gerathen
haͤtte. Bei einem andern definirte er nach dem Be-
griffe ſeiner Zeit: wie aber, wenn dieſer blos ein
juͤngerer, ein abſtammender Begriff geweſen waͤre?
Bei einem dritten nahm er vielleicht gar nur eine
verfeinernde Bedeutung des Philoſophen, eine Ne-
benbeſtimmung dieſer und jener Schule, Provinz,
Sekte,
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