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Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.

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Kritische Wälder.
da: wer will den zusammengeflossenen Unrath
sondern?
III. Verecundia in verbis et formulis a). Der
vorige Klumpe! obscena, sordida, humilia etc.
alles in einer Grube! ohne einigen bestimmten Be-
griff und Unterscheidung! Ob Vorstellungen, oder
nur ihre Ausdrücke beleidigen? ob diese Beleidi-
gung Ekel, oder Schaam, oder nur galanter Unwille
sey, den sie erregen? ob es wider das Reine des
Auges im Begriffe selbst, oder wider die Zucht des
Ohrs im Ausdrucke? ob wider die natürliche
Schaam, oder die gesellschaftliche Anständigkeit,
oder nur wider die Sprachwürde sey? ob diese un-
ter allen Völkern, zu allen Zeiten, in allen Gattun-
gen der Schriftstellerei dieselbe sey? -- Alles
Einerlei und Unerwogen: so getadelt: so gelobt --
wozu kann das Gemische dienen?
6.

Um Virgils Schamhaftigkeit zu beweisen.
Wozu das aber ohne Bestimmung der Begriffe, ohne
Ort und Ordnung? Es ist immer ein falscher Ge-
schmack, ein Ueberbleibsel der alten philologischen
Notenmacher, Stellen und Sachen zusammen zu
häufen, die so gut anders wo, als hier stehen kön-
nen, die hier nichts zur Sache thun, sondern die

Haupt-
a) p. 266-273.
Kritiſche Waͤlder.
da: wer will den zuſammengefloſſenen Unrath
ſondern?
III. Verecundia in verbis et formulis a). Der
vorige Klumpe! obſcena, ſordida, humilia etc.
alles in einer Grube! ohne einigen beſtimmten Be-
griff und Unterſcheidung! Ob Vorſtellungen, oder
nur ihre Ausdruͤcke beleidigen? ob dieſe Beleidi-
gung Ekel, oder Schaam, oder nur galanter Unwille
ſey, den ſie erregen? ob es wider das Reine des
Auges im Begriffe ſelbſt, oder wider die Zucht des
Ohrs im Ausdrucke? ob wider die natuͤrliche
Schaam, oder die geſellſchaftliche Anſtaͤndigkeit,
oder nur wider die Sprachwuͤrde ſey? ob dieſe un-
ter allen Voͤlkern, zu allen Zeiten, in allen Gattun-
gen der Schriftſtellerei dieſelbe ſey? — Alles
Einerlei und Unerwogen: ſo getadelt: ſo gelobt —
wozu kann das Gemiſche dienen?
6.

Um Virgils Schamhaftigkeit zu beweiſen.
Wozu das aber ohne Beſtimmung der Begriffe, ohne
Ort und Ordnung? Es iſt immer ein falſcher Ge-
ſchmack, ein Ueberbleibſel der alten philologiſchen
Notenmacher, Stellen und Sachen zuſammen zu
haͤufen, die ſo gut anders wo, als hier ſtehen koͤn-
nen, die hier nichts zur Sache thun, ſondern die

Haupt-
a) p. 266-273.
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[174/0180] Kritiſche Waͤlder. da: wer will den zuſammengefloſſenen Unrath ſondern? III. Verecundia in verbis et formulis a). Der vorige Klumpe! obſcena, ſordida, humilia etc. alles in einer Grube! ohne einigen beſtimmten Be- griff und Unterſcheidung! Ob Vorſtellungen, oder nur ihre Ausdruͤcke beleidigen? ob dieſe Beleidi- gung Ekel, oder Schaam, oder nur galanter Unwille ſey, den ſie erregen? ob es wider das Reine des Auges im Begriffe ſelbſt, oder wider die Zucht des Ohrs im Ausdrucke? ob wider die natuͤrliche Schaam, oder die geſellſchaftliche Anſtaͤndigkeit, oder nur wider die Sprachwuͤrde ſey? ob dieſe un- ter allen Voͤlkern, zu allen Zeiten, in allen Gattun- gen der Schriftſtellerei dieſelbe ſey? — Alles Einerlei und Unerwogen: ſo getadelt: ſo gelobt — wozu kann das Gemiſche dienen? 6. Um Virgils Schamhaftigkeit zu beweiſen. Wozu das aber ohne Beſtimmung der Begriffe, ohne Ort und Ordnung? Es iſt immer ein falſcher Ge- ſchmack, ein Ueberbleibſel der alten philologiſchen Notenmacher, Stellen und Sachen zuſammen zu haͤufen, die ſo gut anders wo, als hier ſtehen koͤn- nen, die hier nichts zur Sache thun, ſondern die Haupt- a) p. 266-273.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/180>, abgerufen am 24.11.2024.