Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Kritische Wälder.
Gedicht hin eine Jdee von seinen seligen Göttern
beizubringen, die uns wohl nicht den Zustand der-
selben sehr beneidenswerth vorstellte. --

Vollendet muß also der Auftritt werden, aber
wie? und durch wen? Soll Juno ihren Zweck er-
neuren, und vor unsern Augen unglücklich werden?
Unwürdiger Anblick! Soll sie fußfällig abbitten?
Ein niedriger Weg zum Frieden des Himmels,
dazu ganz unjunonisch! Eher ließe sie sich auf
die gedrohete Art strafen, lieber wollte sie einer hö-
hern Tyrannei unterliegen, als so ihre weibliche
Hoheit verläugnen. Auf solche Bedingungen wird
also kein Friede im Himmel!

Und wie denn? Es trete ein Friedensstifter auf
zwischen beiden! Doch wer? Einer, der durch sein An-
sehen rechte, und durch die Würde seiner Person,
als ein himmlischer Nestor, Jupiter und Juno zum
Stillschweigen bringe? Solch einer ist nicht im
ganzen Olympus! Der Streit ist zwischen den
höchsten Göttern: er betrifft die Anschläge Jupi-
ters, und die rechtmäßigen Drohungen seiner
Macht: seine ganze Klugheit, sein obergöttliches
Recht, seine Gewalt -- alles ist mit im Spiele.
Wer soll nun auftreten, ihm zu widersprechen, ihn
ein beßres belehren zu wollen? Alle Anwesende sind
Unterordnungen, Unterthanen, Kinder! Selbst die
Göttinn der Rathschläge, Minerve, ist die Tochter
seines Haupts, und kennet ihren Vater zu gut, als

daß

Kritiſche Waͤlder.
Gedicht hin eine Jdee von ſeinen ſeligen Goͤttern
beizubringen, die uns wohl nicht den Zuſtand der-
ſelben ſehr beneidenswerth vorſtellte. —

Vollendet muß alſo der Auftritt werden, aber
wie? und durch wen? Soll Juno ihren Zweck er-
neuren, und vor unſern Augen ungluͤcklich werden?
Unwuͤrdiger Anblick! Soll ſie fußfaͤllig abbitten?
Ein niedriger Weg zum Frieden des Himmels,
dazu ganz unjunoniſch! Eher ließe ſie ſich auf
die gedrohete Art ſtrafen, lieber wollte ſie einer hoͤ-
hern Tyrannei unterliegen, als ſo ihre weibliche
Hoheit verlaͤugnen. Auf ſolche Bedingungen wird
alſo kein Friede im Himmel!

Und wie denn? Es trete ein Friedensſtifter auf
zwiſchen beiden! Doch wer? Einer, der durch ſein An-
ſehen rechte, und durch die Wuͤrde ſeiner Perſon,
als ein himmliſcher Neſtor, Jupiter und Juno zum
Stillſchweigen bringe? Solch einer iſt nicht im
ganzen Olympus! Der Streit iſt zwiſchen den
hoͤchſten Goͤttern: er betrifft die Anſchlaͤge Jupi-
ters, und die rechtmaͤßigen Drohungen ſeiner
Macht: ſeine ganze Klugheit, ſein obergoͤttliches
Recht, ſeine Gewalt — alles iſt mit im Spiele.
Wer ſoll nun auftreten, ihm zu widerſprechen, ihn
ein beßres belehren zu wollen? Alle Anweſende ſind
Unterordnungen, Unterthanen, Kinder! Selbſt die
Goͤttinn der Rathſchlaͤge, Minerve, iſt die Tochter
ſeines Haupts, und kennet ihren Vater zu gut, als

daß
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0034" n="28"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Kriti&#x017F;che Wa&#x0364;lder.</hi></fw><lb/>
Gedicht hin eine Jdee von &#x017F;einen &#x017F;eligen Go&#x0364;ttern<lb/>
beizubringen, die uns wohl nicht den Zu&#x017F;tand der-<lb/>
&#x017F;elben &#x017F;ehr beneidenswerth vor&#x017F;tellte. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Vollendet muß al&#x017F;o der Auftritt werden, aber<lb/>
wie? und durch wen? Soll Juno ihren Zweck er-<lb/>
neuren, und vor un&#x017F;ern Augen unglu&#x0364;cklich werden?<lb/>
Unwu&#x0364;rdiger Anblick! Soll &#x017F;ie fußfa&#x0364;llig abbitten?<lb/>
Ein niedriger Weg zum Frieden des Himmels,<lb/>
dazu ganz <hi rendition="#fr">unjunoni&#x017F;ch!</hi> Eher ließe &#x017F;ie &#x017F;ich auf<lb/>
die gedrohete Art &#x017F;trafen, lieber wollte &#x017F;ie einer ho&#x0364;-<lb/>
hern Tyrannei unterliegen, als &#x017F;o ihre weibliche<lb/>
Hoheit verla&#x0364;ugnen. Auf &#x017F;olche Bedingungen wird<lb/>
al&#x017F;o kein Friede im Himmel!</p><lb/>
          <p>Und wie denn? Es trete ein Friedens&#x017F;tifter auf<lb/>
zwi&#x017F;chen beiden! Doch wer? Einer, der durch &#x017F;ein An-<lb/>
&#x017F;ehen rechte, und durch die Wu&#x0364;rde &#x017F;einer Per&#x017F;on,<lb/>
als ein himmli&#x017F;cher Ne&#x017F;tor, Jupiter und Juno zum<lb/>
Still&#x017F;chweigen bringe? Solch einer i&#x017F;t nicht im<lb/>
ganzen Olympus! Der Streit i&#x017F;t zwi&#x017F;chen den<lb/>
ho&#x0364;ch&#x017F;ten Go&#x0364;ttern: er betrifft die An&#x017F;chla&#x0364;ge Jupi-<lb/>
ters, und die rechtma&#x0364;ßigen Drohungen &#x017F;einer<lb/>
Macht: &#x017F;eine ganze Klugheit, &#x017F;ein obergo&#x0364;ttliches<lb/>
Recht, &#x017F;eine Gewalt &#x2014; alles i&#x017F;t mit im Spiele.<lb/>
Wer &#x017F;oll nun auftreten, ihm zu wider&#x017F;prechen, ihn<lb/>
ein beßres belehren zu wollen? Alle Anwe&#x017F;ende &#x017F;ind<lb/>
Unterordnungen, Unterthanen, Kinder! Selb&#x017F;t die<lb/>
Go&#x0364;ttinn der Rath&#x017F;chla&#x0364;ge, Minerve, i&#x017F;t die Tochter<lb/>
&#x017F;eines Haupts, und kennet ihren Vater zu gut, als<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">daß</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[28/0034] Kritiſche Waͤlder. Gedicht hin eine Jdee von ſeinen ſeligen Goͤttern beizubringen, die uns wohl nicht den Zuſtand der- ſelben ſehr beneidenswerth vorſtellte. — Vollendet muß alſo der Auftritt werden, aber wie? und durch wen? Soll Juno ihren Zweck er- neuren, und vor unſern Augen ungluͤcklich werden? Unwuͤrdiger Anblick! Soll ſie fußfaͤllig abbitten? Ein niedriger Weg zum Frieden des Himmels, dazu ganz unjunoniſch! Eher ließe ſie ſich auf die gedrohete Art ſtrafen, lieber wollte ſie einer hoͤ- hern Tyrannei unterliegen, als ſo ihre weibliche Hoheit verlaͤugnen. Auf ſolche Bedingungen wird alſo kein Friede im Himmel! Und wie denn? Es trete ein Friedensſtifter auf zwiſchen beiden! Doch wer? Einer, der durch ſein An- ſehen rechte, und durch die Wuͤrde ſeiner Perſon, als ein himmliſcher Neſtor, Jupiter und Juno zum Stillſchweigen bringe? Solch einer iſt nicht im ganzen Olympus! Der Streit iſt zwiſchen den hoͤchſten Goͤttern: er betrifft die Anſchlaͤge Jupi- ters, und die rechtmaͤßigen Drohungen ſeiner Macht: ſeine ganze Klugheit, ſein obergoͤttliches Recht, ſeine Gewalt — alles iſt mit im Spiele. Wer ſoll nun auftreten, ihm zu widerſprechen, ihn ein beßres belehren zu wollen? Alle Anweſende ſind Unterordnungen, Unterthanen, Kinder! Selbſt die Goͤttinn der Rathſchlaͤge, Minerve, iſt die Tochter ſeines Haupts, und kennet ihren Vater zu gut, als daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/34
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/34>, abgerufen am 24.11.2024.