Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Kritische Wälder.
die heidnischen. Wie rührt z. E. die unmenschli-
che abgöttische Wuth im Opfergesange Molochs!

Jch mag die bodmerschen Epopeen nicht durch-
gehen. Wären in ihnen die mythologischen Dich-
tungen nur oft etwas wahrscheinlicher für die Zeit,
und für den Ort ihres Schauplatzes; am Heiligen
und Unheiligen, an Wahrheit und Erdichtung, an
Jüdisch und Heidnisch liegt, wenn ich nichts an-
ders dagegen hätte, nichts!

Jch fühle es, ein so unbestimmt gesagter Ein-
fall ist zu strohern, als daß ich so viel Mine mache,
ihn weg zu heben; Dichter, die gewiß keines über-
spannten Enthusiasmus beschuldigt werden können,
widerlegen ihn. Machtvoll ist z. E. in der ram-
lerschen Rhapsodie von einem Gebete -- machtvoll
in ihrer Verbindung für den, der den persischen
Nachdruck kennet, die kühne Anrede:

-- Und Oromazes und Gott! --

ohne doch eine hübsche Wortphrasis seyn zu sollen.
Stark ist in Kleists christlichem Gedichte von der
Unzufriedenheit der mythologische Vorwurf:

-- Denkst du, wie Riesen der Fabel,
Auf Felsen Felsen zu häufen, und, durch den Unsinn
bewaffnet,
Den Sitz der Gottheit zu stürmen!

Und

Kritiſche Waͤlder.
die heidniſchen. Wie ruͤhrt z. E. die unmenſchli-
che abgoͤttiſche Wuth im Opfergeſange Molochs!

Jch mag die bodmerſchen Epopeen nicht durch-
gehen. Waͤren in ihnen die mythologiſchen Dich-
tungen nur oft etwas wahrſcheinlicher fuͤr die Zeit,
und fuͤr den Ort ihres Schauplatzes; am Heiligen
und Unheiligen, an Wahrheit und Erdichtung, an
Juͤdiſch und Heidniſch liegt, wenn ich nichts an-
ders dagegen haͤtte, nichts!

Jch fuͤhle es, ein ſo unbeſtimmt geſagter Ein-
fall iſt zu ſtrohern, als daß ich ſo viel Mine mache,
ihn weg zu heben; Dichter, die gewiß keines uͤber-
ſpannten Enthuſiasmus beſchuldigt werden koͤnnen,
widerlegen ihn. Machtvoll iſt z. E. in der ram-
lerſchen Rhapſodie von einem Gebete — machtvoll
in ihrer Verbindung fuͤr den, der den perſiſchen
Nachdruck kennet, die kuͤhne Anrede:

— Und Oromazes und Gott! —

ohne doch eine huͤbſche Wortphraſis ſeyn zu ſollen.
Stark iſt in Kleiſts chriſtlichem Gedichte von der
Unzufriedenheit der mythologiſche Vorwurf:

— Denkſt du, wie Rieſen der Fabel,
Auf Felſen Felſen zu haͤufen, und, durch den Unſinn
bewaffnet,
Den Sitz der Gottheit zu ſtuͤrmen!

Und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0090" n="84"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Kriti&#x017F;che Wa&#x0364;lder.</hi></fw><lb/>
die heidni&#x017F;chen. Wie ru&#x0364;hrt z. E. die unmen&#x017F;chli-<lb/>
che abgo&#x0364;tti&#x017F;che Wuth im Opferge&#x017F;ange Molochs!</p><lb/>
          <p>Jch mag die bodmer&#x017F;chen Epopeen nicht durch-<lb/>
gehen. Wa&#x0364;ren in ihnen die mythologi&#x017F;chen Dich-<lb/>
tungen nur oft etwas wahr&#x017F;cheinlicher fu&#x0364;r die Zeit,<lb/>
und fu&#x0364;r den Ort ihres Schauplatzes; am Heiligen<lb/>
und Unheiligen, an Wahrheit und Erdichtung, an<lb/>
Ju&#x0364;di&#x017F;ch und Heidni&#x017F;ch liegt, wenn ich nichts an-<lb/>
ders dagegen ha&#x0364;tte, nichts!</p><lb/>
          <p>Jch fu&#x0364;hle es, ein &#x017F;o unbe&#x017F;timmt ge&#x017F;agter Ein-<lb/>
fall i&#x017F;t zu &#x017F;trohern, als daß ich &#x017F;o viel Mine mache,<lb/>
ihn weg zu heben; Dichter, die gewiß keines u&#x0364;ber-<lb/>
&#x017F;pannten Enthu&#x017F;iasmus be&#x017F;chuldigt werden ko&#x0364;nnen,<lb/>
widerlegen ihn. Machtvoll i&#x017F;t z. E. in der ram-<lb/>
ler&#x017F;chen Rhap&#x017F;odie von einem Gebete &#x2014; machtvoll<lb/>
in ihrer Verbindung fu&#x0364;r den, der den per&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Nachdruck kennet, die ku&#x0364;hne Anrede:</p><lb/>
          <cit>
            <quote>&#x2014; Und Oromazes und Gott! &#x2014;</quote>
          </cit><lb/>
          <p>ohne doch eine hu&#x0364;b&#x017F;che Wortphra&#x017F;is &#x017F;eyn zu &#x017F;ollen.<lb/>
Stark i&#x017F;t in Klei&#x017F;ts chri&#x017F;tlichem Gedichte von der<lb/>
Unzufriedenheit der mythologi&#x017F;che Vorwurf:</p><lb/>
          <cit>
            <quote>
              <lg type="poem">
                <l>&#x2014; Denk&#x017F;t du, wie Rie&#x017F;en der Fabel,</l><lb/>
                <l>Auf Fel&#x017F;en Fel&#x017F;en zu ha&#x0364;ufen, und, durch den Un&#x017F;inn</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">bewaffnet,</hi> </l><lb/>
                <l>Den Sitz der Gottheit zu &#x017F;tu&#x0364;rmen!</l>
              </lg>
            </quote>
          </cit><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Und</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[84/0090] Kritiſche Waͤlder. die heidniſchen. Wie ruͤhrt z. E. die unmenſchli- che abgoͤttiſche Wuth im Opfergeſange Molochs! Jch mag die bodmerſchen Epopeen nicht durch- gehen. Waͤren in ihnen die mythologiſchen Dich- tungen nur oft etwas wahrſcheinlicher fuͤr die Zeit, und fuͤr den Ort ihres Schauplatzes; am Heiligen und Unheiligen, an Wahrheit und Erdichtung, an Juͤdiſch und Heidniſch liegt, wenn ich nichts an- ders dagegen haͤtte, nichts! Jch fuͤhle es, ein ſo unbeſtimmt geſagter Ein- fall iſt zu ſtrohern, als daß ich ſo viel Mine mache, ihn weg zu heben; Dichter, die gewiß keines uͤber- ſpannten Enthuſiasmus beſchuldigt werden koͤnnen, widerlegen ihn. Machtvoll iſt z. E. in der ram- lerſchen Rhapſodie von einem Gebete — machtvoll in ihrer Verbindung fuͤr den, der den perſiſchen Nachdruck kennet, die kuͤhne Anrede: — Und Oromazes und Gott! — ohne doch eine huͤbſche Wortphraſis ſeyn zu ſollen. Stark iſt in Kleiſts chriſtlichem Gedichte von der Unzufriedenheit der mythologiſche Vorwurf: — Denkſt du, wie Rieſen der Fabel, Auf Felſen Felſen zu haͤufen, und, durch den Unſinn bewaffnet, Den Sitz der Gottheit zu ſtuͤrmen! Und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/90
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/90>, abgerufen am 22.11.2024.