Sylbenmaas, an das sie nicht im Traume gedacht haben? Wie lange wird man Popen in wässerichter Prose, und Shakespear im ungleichsten, fast nie getroffenen Ton übersez- zen? Wie viel könnten wir von den Britten lernen, und wie wenig haben wir gelernt! Jhr arbeitsamen Deutschen! Ein Deutscher Johnson fehlt uns noch, der das für die Deutsche Sprache wage, was jener für die seinige! Die Philosophie, das Nach- denken, das Sammlen ist ja euer Theil, und wir stehen den Britten auch in unserm Eigen- thume nach? Wird es bald seyn, daß ihr eure Sprache durch Untersuchungen "ihr Weltwei- sen! durch Sammlung und Critik, ihr Phi- lologen! durch Meisterstücke, ihr Genies! zu derjenigen macht, die nach dem Plinius, "alten "Sachen Neuheit; neuen das Ansehen des Al- "terthums; verrosteten Glanz; dunkeln Licht; "widerlichen Reiz; zweifelhaften Glaubwür- "digkeit; allen aber Natur" verschaffen kann. Werden die Deutschen bald aufhören, durch ihre langweilige Prose, gegen die Franzosen solche gute Alte vorzustellen, als Terenzens Chremes gegen seinen Darus? Werden
auch
Sylbenmaas, an das ſie nicht im Traume gedacht haben? Wie lange wird man Popen in waͤſſerichter Proſe, und Shakeſpear im ungleichſten, faſt nie getroffenen Ton uͤberſez- zen? Wie viel koͤnnten wir von den Britten lernen, und wie wenig haben wir gelernt! Jhr arbeitſamen Deutſchen! Ein Deutſcher Johnſon fehlt uns noch, der das fuͤr die Deutſche Sprache wage, was jener fuͤr die ſeinige! Die Philoſophie, das Nach- denken, das Sammlen iſt ja euer Theil, und wir ſtehen den Britten auch in unſerm Eigen- thume nach? Wird es bald ſeyn, daß ihr eure Sprache durch Unterſuchungen „ihr Weltwei- ſen! durch Sammlung und Critik, ihr Phi- lologen! durch Meiſterſtuͤcke, ihr Genies! zu derjenigen macht, die nach dem Plinius, „alten „Sachen Neuheit; neuen das Anſehen des Al- „terthums; verroſteten Glanz; dunkeln Licht; „widerlichen Reiz; zweifelhaften Glaubwuͤr- „digkeit; allen aber Natur„ verſchaffen kann. Werden die Deutſchen bald aufhoͤren, durch ihre langweilige Proſe, gegen die Franzoſen ſolche gute Alte vorzuſtellen, als Terenzens Chremes gegen ſeinen Darus? Werden
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Sylbenmaas, an das ſie nicht im Traume
gedacht haben? Wie lange wird man Popen
in waͤſſerichter Proſe, und Shakeſpear im
ungleichſten, faſt nie getroffenen Ton uͤberſez-
zen? Wie viel koͤnnten wir von den Britten
lernen, und wie wenig haben wir gelernt!
Jhr arbeitſamen Deutſchen! Ein Deutſcher
Johnſon fehlt uns noch, der das fuͤr die
Deutſche Sprache wage, was jener fuͤr
die ſeinige! Die Philoſophie, das Nach-
denken, das Sammlen iſt ja euer Theil, und
wir ſtehen den Britten auch in unſerm Eigen-
thume nach? Wird es bald ſeyn, daß ihr eure
Sprache durch Unterſuchungen „ihr Weltwei-
ſen! durch Sammlung und Critik, ihr Phi-
lologen! durch Meiſterſtuͤcke, ihr Genies! zu
derjenigen macht, die nach dem Plinius, „alten
„Sachen Neuheit; neuen das Anſehen des Al-
„terthums; verroſteten Glanz; dunkeln Licht;
„widerlichen Reiz; zweifelhaften Glaubwuͤr-
„digkeit; allen aber Natur„ verſchaffen kann.
Werden die Deutſchen bald aufhoͤren, durch
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ſolche gute Alte vorzuſtellen, als Terenzens
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/147>, abgerufen am 16.02.2025.
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