Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

Unsere Sprache hat wegen der Consonanten
etwas barbarisches an sich:)* und die Fran-
zösische wegen der öftern Elisionen, wegen
der vielen unnützen Wörter, die halb ver-
schluckt werden, wegen der laufenden Aus-
sprache, keinen gewissen Tritt. Aber das
erhebt ja nicht unsre Sprache, wenn die
andre an einer andern Seite leidet? Nein!
aber die unsere leidet darinn nicht so, wie
ein Franzose glaubt. Damit unsre Laute
sich nicht unter den Consonanten verlieren
mögen: haben wir mehr Doppellauter, und
stärkere Vokale, als sie: so daß unsre
Sprache eine gewisse Dorische Fülle bekommt,
die in starken Monologen des Trauerspiels,
in dem vollen Chor einer Cantate, im männ-
lichen Schwunge einer Ode; noch mehr aber
im ernsthaften Lehrgedicht, und in nachdrück-
lichen Betrachtungen sich unserm Charakter
sehr anschmieget. Möchte überhaupt nur diese
Dorische Rauhigkeit so viel Einfluß in das
Jnnere unserer Sprache haben, als die Do-
rische Härte desto vollere Schönheiten in die

Oden
* Litt. Br. Th. 16. p. 20.
F 5

Unſere Sprache hat wegen der Conſonanten
etwas barbariſches an ſich:)* und die Fran-
zoͤſiſche wegen der oͤftern Eliſionen, wegen
der vielen unnuͤtzen Woͤrter, die halb ver-
ſchluckt werden, wegen der laufenden Aus-
ſprache, keinen gewiſſen Tritt. Aber das
erhebt ja nicht unſre Sprache, wenn die
andre an einer andern Seite leidet? Nein!
aber die unſere leidet darinn nicht ſo, wie
ein Franzoſe glaubt. Damit unſre Laute
ſich nicht unter den Conſonanten verlieren
moͤgen: haben wir mehr Doppellauter, und
ſtaͤrkere Vokale, als ſie: ſo daß unſre
Sprache eine gewiſſe Doriſche Fuͤlle bekommt,
die in ſtarken Monologen des Trauerſpiels,
in dem vollen Chor einer Cantate, im maͤnn-
lichen Schwunge einer Ode; noch mehr aber
im ernſthaften Lehrgedicht, und in nachdruͤck-
lichen Betrachtungen ſich unſerm Charakter
ſehr anſchmieget. Moͤchte uͤberhaupt nur dieſe
Doriſche Rauhigkeit ſo viel Einfluß in das
Jnnere unſerer Sprache haben, als die Do-
riſche Haͤrte deſto vollere Schoͤnheiten in die

Oden
* Litt. Br. Th. 16. p. 20.
F 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0093" n="89"/>
          <p>Un&#x017F;ere Sprache hat wegen der Con&#x017F;onanten<lb/>
etwas barbari&#x017F;ches an &#x017F;ich:)<note place="foot" n="*">Litt. Br. Th. 16. p. 20.</note> und die Fran-<lb/>
zo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;che wegen der o&#x0364;ftern Eli&#x017F;ionen, wegen<lb/>
der vielen unnu&#x0364;tzen Wo&#x0364;rter, die halb ver-<lb/>
&#x017F;chluckt werden, wegen der laufenden Aus-<lb/>
&#x017F;prache, keinen gewi&#x017F;&#x017F;en Tritt. Aber das<lb/>
erhebt ja nicht un&#x017F;re Sprache, wenn die<lb/>
andre an einer andern Seite leidet? Nein!<lb/>
aber die un&#x017F;ere leidet darinn nicht &#x017F;o, wie<lb/>
ein Franzo&#x017F;e glaubt. Damit un&#x017F;re Laute<lb/>
&#x017F;ich nicht unter den Con&#x017F;onanten verlieren<lb/>
mo&#x0364;gen: haben wir mehr Doppellauter, und<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;rkere Vokale, als &#x017F;ie: &#x017F;o daß un&#x017F;re<lb/>
Sprache eine gewi&#x017F;&#x017F;e Dori&#x017F;che Fu&#x0364;lle bekommt,<lb/>
die in &#x017F;tarken Monologen des Trauer&#x017F;piels,<lb/>
in dem vollen Chor einer Cantate, im ma&#x0364;nn-<lb/>
lichen Schwunge einer Ode; noch mehr aber<lb/>
im ern&#x017F;thaften Lehrgedicht, und in nachdru&#x0364;ck-<lb/>
lichen Betrachtungen &#x017F;ich un&#x017F;erm Charakter<lb/>
&#x017F;ehr an&#x017F;chmieget. Mo&#x0364;chte u&#x0364;berhaupt nur die&#x017F;e<lb/>
Dori&#x017F;che Rauhigkeit &#x017F;o viel Einfluß in das<lb/>
Jnnere un&#x017F;erer Sprache haben, als die Do-<lb/>
ri&#x017F;che Ha&#x0364;rte de&#x017F;to vollere Scho&#x0364;nheiten in die<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F 5</fw><fw place="bottom" type="catch">Oden</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[89/0093] Unſere Sprache hat wegen der Conſonanten etwas barbariſches an ſich:) * und die Fran- zoͤſiſche wegen der oͤftern Eliſionen, wegen der vielen unnuͤtzen Woͤrter, die halb ver- ſchluckt werden, wegen der laufenden Aus- ſprache, keinen gewiſſen Tritt. Aber das erhebt ja nicht unſre Sprache, wenn die andre an einer andern Seite leidet? Nein! aber die unſere leidet darinn nicht ſo, wie ein Franzoſe glaubt. Damit unſre Laute ſich nicht unter den Conſonanten verlieren moͤgen: haben wir mehr Doppellauter, und ſtaͤrkere Vokale, als ſie: ſo daß unſre Sprache eine gewiſſe Doriſche Fuͤlle bekommt, die in ſtarken Monologen des Trauerſpiels, in dem vollen Chor einer Cantate, im maͤnn- lichen Schwunge einer Ode; noch mehr aber im ernſthaften Lehrgedicht, und in nachdruͤck- lichen Betrachtungen ſich unſerm Charakter ſehr anſchmieget. Moͤchte uͤberhaupt nur dieſe Doriſche Rauhigkeit ſo viel Einfluß in das Jnnere unſerer Sprache haben, als die Do- riſche Haͤrte deſto vollere Schoͤnheiten in die Oden * Litt. Br. Th. 16. p. 20. F 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/93
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/93>, abgerufen am 23.11.2024.