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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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neuen Ausgabe seiner Gedichte vielleicht eine
weit bessere Praktische Bestätigung, als ich
habe zeigen können: um ihn Anakreon zu
nennen. Jch habe diesen Namen von der
Taube des alten Griechen gehört, die ich unver-
muthet antraf.

Anakreons Taube.


Woher du, liebe Taube?
Woher so reich an Salben,
in, deren Duft du schwimmest
und sanft die Flügel schlägst --
Wohin gilt deine Reise?
"Du kennst mich nicht, mehr, Alter!
"Anakreons Gespielin,
die mit ihm trank und lachte
und sich aus seinen Händen
die goldnen Körner raubte
und schlief auf seiner Leyer
und vor der Morgensonne
ihn in den schönsten Träumen
mit ihren Flügeln deckte --
Kennst du mich noch nicht, Alter?
Ach! ich hab ihn verloren!
um dessen Grab die Amors
und Grazien einen Hain
von
Z 2

neuen Ausgabe ſeiner Gedichte vielleicht eine
weit beſſere Praktiſche Beſtaͤtigung, als ich
habe zeigen koͤnnen: um ihn Anakreon zu
nennen. Jch habe dieſen Namen von der
Taube des alten Griechen gehoͤrt, die ich unver-
muthet antraf.

Anakreons Taube.


Woher du, liebe Taube?
Woher ſo reich an Salben,
in, deren Duft du ſchwimmeſt
und ſanft die Fluͤgel ſchlaͤgſt —
Wohin gilt deine Reiſe?
„Du kennſt mich nicht, mehr, Alter!
„Anakreons Geſpielin,
die mit ihm trank und lachte
und ſich aus ſeinen Haͤnden
die goldnen Koͤrner raubte
und ſchlief auf ſeiner Leyer
und vor der Morgenſonne
ihn in den ſchoͤnſten Traͤumen
mit ihren Fluͤgeln deckte —
Kennſt du mich noch nicht, Alter?
Ach! ich hab ihn verloren!
um deſſen Grab die Amors
und Grazien einen Hain
von
Z 2
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[343/0175] neuen Ausgabe ſeiner Gedichte vielleicht eine weit beſſere Praktiſche Beſtaͤtigung, als ich habe zeigen koͤnnen: um ihn Anakreon zu nennen. Jch habe dieſen Namen von der Taube des alten Griechen gehoͤrt, die ich unver- muthet antraf. Anakreons Taube. Woher du, liebe Taube? Woher ſo reich an Salben, in, deren Duft du ſchwimmeſt und ſanft die Fluͤgel ſchlaͤgſt — Wohin gilt deine Reiſe? „Du kennſt mich nicht, mehr, Alter! „Anakreons Geſpielin, die mit ihm trank und lachte und ſich aus ſeinen Haͤnden die goldnen Koͤrner raubte und ſchlief auf ſeiner Leyer und vor der Morgenſonne ihn in den ſchoͤnſten Traͤumen mit ihren Fluͤgeln deckte — Kennſt du mich noch nicht, Alter? Ach! ich hab ihn verloren! um deſſen Grab die Amors und Grazien einen Hain von Z 2

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/175>, abgerufen am 21.11.2024.