Erst Leidenschaft, denn Empfindung, denn Beschäftigungen, und endlich todte Malerey: so ist der Gegenstand der Dichtkunst nach ver- schiedenen Zeitaltern gesunken. Eben dersel- be Schritt, wie aus der Jdylle, der Schä- ferdichterei, eine Ekloge, ein Landgemälde entstanden, hat eine andere Veränderung zur Pa- rallele, wie aus der Homerischen Jliade, eine Aeneide, aus dem eidos des Pindars, eine Ode des Horaz, aus dem melos des Ana- kreons, eine Tändelei Catulls geworden: je- ne redeten durch Ausdruck und Handlung, diese redeten durch Worte und Schilderungen: jene bewegten durch das, was sie zeigten, durch Empfindung; bei diesen kam es sehr in Betracht, auf was Art sie es vorzeig- ten -- Kurz! wenn Jdylle das Landge- dicht ist, das Leidenschaften und Empfindun- gen kleiner Gesellschaften auf die sinnlichste Art ausdrückt, so ist Theokrit ein Jdyllen- dichter, und zwar der vollkommenste unter allen, die ich kenne.
Aber Empfindungen und Leidenschaften nach dem Jdeal?*Höchstverschönerte
Leiden-
* p. 124. 125.
Erſt Leidenſchaft, denn Empfindung, denn Beſchaͤftigungen, und endlich todte Malerey: ſo iſt der Gegenſtand der Dichtkunſt nach ver- ſchiedenen Zeitaltern geſunken. Eben derſel- be Schritt, wie aus der Jdylle, der Schaͤ- ferdichterei, eine Ekloge, ein Landgemaͤlde entſtanden, hat eine andere Veraͤnderung zur Pa- rallele, wie aus der Homeriſchen Jliade, eine Aeneide, aus dem ειδος des Pindars, eine Ode des Horaz, aus dem μελος des Ana- kreons, eine Taͤndelei Catulls geworden: je- ne redeten durch Ausdruck und Handlung, dieſe redeten durch Worte und Schilderungen: jene bewegten durch das, was ſie zeigten, durch Empfindung; bei dieſen kam es ſehr in Betracht, auf was Art ſie es vorzeig- ten — Kurz! wenn Jdylle das Landge- dicht iſt, das Leidenſchaften und Empfindun- gen kleiner Geſellſchaften auf die ſinnlichſte Art ausdruͤckt, ſo iſt Theokrit ein Jdyllen- dichter, und zwar der vollkommenſte unter allen, die ich kenne.
Aber Empfindungen und Leidenſchaften nach dem Jdeal?*Hoͤchſtverſchoͤnerte
Leiden-
* p. 124. 125.
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Erſt Leidenſchaft, denn Empfindung, denn
Beſchaͤftigungen, und endlich todte Malerey:
ſo iſt der Gegenſtand der Dichtkunſt nach ver-
ſchiedenen Zeitaltern geſunken. Eben derſel-
be Schritt, wie aus der Jdylle, der Schaͤ-
ferdichterei, eine Ekloge, ein Landgemaͤlde
entſtanden, hat eine andere Veraͤnderung zur Pa-
rallele, wie aus der Homeriſchen Jliade, eine
Aeneide, aus dem ειδος des Pindars, eine
Ode des Horaz, aus dem μελος des Ana-
kreons, eine Taͤndelei Catulls geworden: je-
ne redeten durch Ausdruck und Handlung,
dieſe redeten durch Worte und Schilderungen:
jene bewegten durch das, was ſie zeigten,
durch Empfindung; bei dieſen kam es ſehr
in Betracht, auf was Art ſie es vorzeig-
ten — Kurz! wenn Jdylle das Landge-
dicht iſt, das Leidenſchaften und Empfindun-
gen kleiner Geſellſchaften auf die ſinnlichſte
Art ausdruͤckt, ſo iſt Theokrit ein Jdyllen-
dichter, und zwar der vollkommenſte unter
allen, die ich kenne.
Aber Empfindungen und Leidenſchaften
nach dem Jdeal? * Hoͤchſtverſchoͤnerte
Leiden-
* p. 124. 125.
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/186>, abgerufen am 16.02.2025.
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