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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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Theokrit nicht ausstehen können; und löset
dies Räthsel so auf: "weil in der Jdylle Lei-
"denschaften
und Empfindungen bis auf
"den höchsten Grad veredelt werden, so thue
"der Dichter wohl, daß er ihre Lebensart
"nicht zugleich mit idealisiret.*" Jch glaube,
der Dichter thut nicht gar zu wohl dran, denn
je höher das eine veredelt wird, desto mehr
muß das andre verekelt werden. Die
Lebensart, sagt er, gehöret nicht mit zu sei-
ner Absicht;
allerdings! hat er nicht kurz
vorher selbst eine Eklogenart für die Landbe-
schäftigungen ausgemacht: und was ja ei-
ne ganze Ekloge abgeben kann, sollte das als
Theil bei dem andern so unbeträchtlich seyn?
Aber durch diesen Kunstgrif wird der Leser
aus der Jrre der Jdealischen Welt auf die
Natur zurückgeführt? leider! ja, aber auch
zu dem Seufzer gebracht: warum hat mich
der Dichter in die ärgerliche Jrre geführt?
hätte er nicht diesen Jdealischen Traum ge-
habt; alsdenn hätten seine Charaktere an
Mannichfaltigkeit und Bestimmtheit gewon-

nen?
* Litter. Br. Th. s. p. 134. 135.

Theokrit nicht ausſtehen koͤnnen; und loͤſet
dies Raͤthſel ſo auf: „weil in der Jdylle Lei-
„denſchaften
und Empfindungen bis auf
„den hoͤchſten Grad veredelt werden, ſo thue
„der Dichter wohl, daß er ihre Lebensart
„nicht zugleich mit idealiſiret.*„ Jch glaube,
der Dichter thut nicht gar zu wohl dran, denn
je hoͤher das eine veredelt wird, deſto mehr
muß das andre verekelt werden. Die
Lebensart, ſagt er, gehoͤret nicht mit zu ſei-
ner Abſicht;
allerdings! hat er nicht kurz
vorher ſelbſt eine Eklogenart fuͤr die Landbe-
ſchaͤftigungen ausgemacht: und was ja ei-
ne ganze Ekloge abgeben kann, ſollte das als
Theil bei dem andern ſo unbetraͤchtlich ſeyn?
Aber durch dieſen Kunſtgrif wird der Leſer
aus der Jrre der Jdealiſchen Welt auf die
Natur zuruͤckgefuͤhrt? leider! ja, aber auch
zu dem Seufzer gebracht: warum hat mich
der Dichter in die aͤrgerliche Jrre gefuͤhrt?
haͤtte er nicht dieſen Jdealiſchen Traum ge-
habt; alsdenn haͤtten ſeine Charaktere an
Mannichfaltigkeit und Beſtimmtheit gewon-

nen?
* Litter. Br. Th. s. p. 134. 135.
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[358/0190] Theokrit nicht ausſtehen koͤnnen; und loͤſet dies Raͤthſel ſo auf: „weil in der Jdylle Lei- „denſchaften und Empfindungen bis auf „den hoͤchſten Grad veredelt werden, ſo thue „der Dichter wohl, daß er ihre Lebensart „nicht zugleich mit idealiſiret. *„ Jch glaube, der Dichter thut nicht gar zu wohl dran, denn je hoͤher das eine veredelt wird, deſto mehr muß das andre verekelt werden. Die Lebensart, ſagt er, gehoͤret nicht mit zu ſei- ner Abſicht; allerdings! hat er nicht kurz vorher ſelbſt eine Eklogenart fuͤr die Landbe- ſchaͤftigungen ausgemacht: und was ja ei- ne ganze Ekloge abgeben kann, ſollte das als Theil bei dem andern ſo unbetraͤchtlich ſeyn? Aber durch dieſen Kunſtgrif wird der Leſer aus der Jrre der Jdealiſchen Welt auf die Natur zuruͤckgefuͤhrt? leider! ja, aber auch zu dem Seufzer gebracht: warum hat mich der Dichter in die aͤrgerliche Jrre gefuͤhrt? haͤtte er nicht dieſen Jdealiſchen Traum ge- habt; alsdenn haͤtten ſeine Charaktere an Mannichfaltigkeit und Beſtimmtheit gewon- nen? * Litter. Br. Th. s. p. 134. 135.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/190>, abgerufen am 21.11.2024.