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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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Leidenschaften und Empfindungen nach
einer verschönerten Natur: Geßner Em-
pfindungen
und Beschäftigungen nach ei-
nem ganzverschönerten Jdeal: Natur-
scenen
kann ich noch dazu sezzen; nur Lei-
denschaften?
nicht so leicht. Wo er sie
schildern muß z. E. in seinem Tode Abels,
und in seinem Daphnis mißrathen sie oft:
Abel zu fromm: Cain zu übertrieben, und
unwahrscheinlich: Daphnis für die Erde zu
himmlisch und für das Reich der Hebe zu
irrdisch. Seine Schäferspiele -- man füh-
re sie auf: und man wird Puppen sehen:
man lese sie, und es sind ergözzende Puppen.
Aber ein Schäferspiel wirklich in Theokrit-
schem Geist, das muß, eben so wohl rühren,
als ein Griechisches Heldenspiel.

Jch entziehe Geßner hiemit nichts von
seinen gerechten Lobsprüchen: ich kann aus
Rammlers Batteux mit willigen Fingern
hinzusezzen: "Seine Erfindungen sind (im
"Detail) mannichfaltig: seine Plane regel-
"mäßig: nichts ist schöner als sein Colorit:
"seine Prose ist so wohlklingend, daß wir den

"Theo-

Leidenſchaften und Empfindungen nach
einer verſchoͤnerten Natur: Geßner Em-
pfindungen
und Beſchaͤftigungen nach ei-
nem ganzverſchoͤnerten Jdeal: Natur-
ſcenen
kann ich noch dazu ſezzen; nur Lei-
denſchaften?
nicht ſo leicht. Wo er ſie
ſchildern muß z. E. in ſeinem Tode Abels,
und in ſeinem Daphnis mißrathen ſie oft:
Abel zu fromm: Cain zu uͤbertrieben, und
unwahrſcheinlich: Daphnis fuͤr die Erde zu
himmliſch und fuͤr das Reich der Hebe zu
irrdiſch. Seine Schaͤferſpiele — man fuͤh-
re ſie auf: und man wird Puppen ſehen:
man leſe ſie, und es ſind ergoͤzzende Puppen.
Aber ein Schaͤferſpiel wirklich in Theokrit-
ſchem Geiſt, das muß, eben ſo wohl ruͤhren,
als ein Griechiſches Heldenſpiel.

Jch entziehe Geßner hiemit nichts von
ſeinen gerechten Lobſpruͤchen: ich kann aus
Rammlers Batteux mit willigen Fingern
hinzuſezzen: „Seine Erfindungen ſind (im
„Detail) mannichfaltig: ſeine Plane regel-
„maͤßig: nichts iſt ſchoͤner als ſein Colorit:
„ſeine Proſe iſt ſo wohlklingend, daß wir den

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[366/0198] Leidenſchaften und Empfindungen nach einer verſchoͤnerten Natur: Geßner Em- pfindungen und Beſchaͤftigungen nach ei- nem ganzverſchoͤnerten Jdeal: Natur- ſcenen kann ich noch dazu ſezzen; nur Lei- denſchaften? nicht ſo leicht. Wo er ſie ſchildern muß z. E. in ſeinem Tode Abels, und in ſeinem Daphnis mißrathen ſie oft: Abel zu fromm: Cain zu uͤbertrieben, und unwahrſcheinlich: Daphnis fuͤr die Erde zu himmliſch und fuͤr das Reich der Hebe zu irrdiſch. Seine Schaͤferſpiele — man fuͤh- re ſie auf: und man wird Puppen ſehen: man leſe ſie, und es ſind ergoͤzzende Puppen. Aber ein Schaͤferſpiel wirklich in Theokrit- ſchem Geiſt, das muß, eben ſo wohl ruͤhren, als ein Griechiſches Heldenſpiel. Jch entziehe Geßner hiemit nichts von ſeinen gerechten Lobſpruͤchen: ich kann aus Rammlers Batteux mit willigen Fingern hinzuſezzen: „Seine Erfindungen ſind (im „Detail) mannichfaltig: ſeine Plane regel- „maͤßig: nichts iſt ſchoͤner als ſein Colorit: „ſeine Proſe iſt ſo wohlklingend, daß wir den „Theo-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/198>, abgerufen am 21.11.2024.