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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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Aber die eigentliche Sprache des Ge-
schmacks,
der Künste, der Schönheit muß
sie nicht werden; nicht einer Nation die Ori-
ginalschriftsteller
in ihrer eignen Mundart
rauben: nicht die Ehre sich anmaßen, auf dem
Throne der Dichtkunst zu thronen, und
die Sprache der Poeten, der wahrhaftig
schönen
Schriftsteller, oder derer zu werden,
die mit ihren Schriften bilden wollen. Diese
sollen vom Sokrates lernen, Patrioten zu seyn,
und Nebenabsichten dem Hauptzwecke
aufzuopfern: denn dieser wußte es genau zu
unterscheiden:

patriae quid debeat, et quid amicis
qued sit conseripti, quod iudicis officium, quae
Partes in bellum missi ducis - - -

Sie sollen aus verunglückten Beispielen se-
hen, daß, wenn man den Ausdruck unglück-
licher Weise vor dem Gedanken behandelt;
alsdenn leicht jene todte Bildsäule des Styls
daraus werde, die ohne Fehler und ohne wahr-
haftig eigne Schönheiten, ohne Leben und oh-
ne Charakter dasteht, für langweilige Leser
eine Augenweide: die Bewunderung des re-
gelmäßigen Dummen; allein der Kluge geht

vor-

Aber die eigentliche Sprache des Ge-
ſchmacks,
der Kuͤnſte, der Schoͤnheit muß
ſie nicht werden; nicht einer Nation die Ori-
ginalſchriftſteller
in ihrer eignen Mundart
rauben: nicht die Ehre ſich anmaßen, auf dem
Throne der Dichtkunſt zu thronen, und
die Sprache der Poeten, der wahrhaftig
ſchoͤnen
Schriftſteller, oder derer zu werden,
die mit ihren Schriften bilden wollen. Dieſe
ſollen vom Sokrates lernen, Patrioten zu ſeyn,
und Nebenabſichten dem Hauptzwecke
aufzuopfern: denn dieſer wußte es genau zu
unterſcheiden:

patriae quid debeat, et quid amicis
qued ſit conſeripti, quod iudicis officium, quae
Partes in bellum miſſi ducis ‒ ‒ ‒

Sie ſollen aus verungluͤckten Beiſpielen ſe-
hen, daß, wenn man den Ausdruck ungluͤck-
licher Weiſe vor dem Gedanken behandelt;
alsdenn leicht jene todte Bildſaͤule des Styls
daraus werde, die ohne Fehler und ohne wahr-
haftig eigne Schoͤnheiten, ohne Leben und oh-
ne Charakter daſteht, fuͤr langweilige Leſer
eine Augenweide: die Bewunderung des re-
gelmaͤßigen Dummen; allein der Kluge geht

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[100/0108] Aber die eigentliche Sprache des Ge- ſchmacks, der Kuͤnſte, der Schoͤnheit muß ſie nicht werden; nicht einer Nation die Ori- ginalſchriftſteller in ihrer eignen Mundart rauben: nicht die Ehre ſich anmaßen, auf dem Throne der Dichtkunſt zu thronen, und die Sprache der Poeten, der wahrhaftig ſchoͤnen Schriftſteller, oder derer zu werden, die mit ihren Schriften bilden wollen. Dieſe ſollen vom Sokrates lernen, Patrioten zu ſeyn, und Nebenabſichten dem Hauptzwecke aufzuopfern: denn dieſer wußte es genau zu unterſcheiden: patriae quid debeat, et quid amicis qued ſit conſeripti, quod iudicis officium, quae Partes in bellum miſſi ducis ‒ ‒ ‒ Sie ſollen aus verungluͤckten Beiſpielen ſe- hen, daß, wenn man den Ausdruck ungluͤck- licher Weiſe vor dem Gedanken behandelt; alsdenn leicht jene todte Bildſaͤule des Styls daraus werde, die ohne Fehler und ohne wahr- haftig eigne Schoͤnheiten, ohne Leben und oh- ne Charakter daſteht, fuͤr langweilige Leſer eine Augenweide: die Bewunderung des re- gelmaͤßigen Dummen; allein der Kluge geht vor-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/108>, abgerufen am 21.11.2024.