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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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so zahlte es freilich so albern, als eine Mut-
ter das Lob ihres Kindes in einer gelognen
elenden Leichenpredigt: aber betrachtet man
das Epigramm an sich, so ists ja artig, und
(insonderheit damals, da die Mythologie,
als poetisches Baugerüste bekannter, und mehr
in Ruf war, als jetzt,) poetisch. Jsts aber
so viel Geld werth? Das weiß ich nicht!
wer kann Liebhaberei, und Lobgedichte taxi-
ren, als der Liebhaber, und der Gelobte selbst?

Jch trete eine kleine Stufe höher! Zu den
Oden! Eine Ode, die wirklich Empfindun-
gen
singt, und in mir erregen will, muß
sich in das Labyrinth der Mythologie gar
nicht, oder nur selten verlieren. Jn einem
Empfindungsvollen klopstockischen Gedicht,
oder in Hallers Ode auf die Mariane würde
es ohne Zweifel fremde und gesucht seyn, Bil-
der, die bei uns nicht so nahe an den Kam-
mern des Herzens liegen, zu brauchen, um
an das Herz des andern zu klopfen. Aber
eine Ode, wenn ich sie als eine poetische
Ausbildung eines lebhaften Gedanken
ansehe, die die Einbildungskraft des an-
dern bis zur sinnlichen Anschauung erre-

gen,

ſo zahlte es freilich ſo albern, als eine Mut-
ter das Lob ihres Kindes in einer gelognen
elenden Leichenpredigt: aber betrachtet man
das Epigramm an ſich, ſo iſts ja artig, und
(inſonderheit damals, da die Mythologie,
als poetiſches Baugeruͤſte bekannter, und mehr
in Ruf war, als jetzt,) poetiſch. Jſts aber
ſo viel Geld werth? Das weiß ich nicht!
wer kann Liebhaberei, und Lobgedichte taxi-
ren, als der Liebhaber, und der Gelobte ſelbſt?

Jch trete eine kleine Stufe hoͤher! Zu den
Oden! Eine Ode, die wirklich Empfindun-
gen
ſingt, und in mir erregen will, muß
ſich in das Labyrinth der Mythologie gar
nicht, oder nur ſelten verlieren. Jn einem
Empfindungsvollen klopſtockiſchen Gedicht,
oder in Hallers Ode auf die Mariane wuͤrde
es ohne Zweifel fremde und geſucht ſeyn, Bil-
der, die bei uns nicht ſo nahe an den Kam-
mern des Herzens liegen, zu brauchen, um
an das Herz des andern zu klopfen. Aber
eine Ode, wenn ich ſie als eine poetiſche
Ausbildung eines lebhaften Gedanken
anſehe, die die Einbildungskraft des an-
dern bis zur ſinnlichen Anſchauung erre-

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[142/0150] ſo zahlte es freilich ſo albern, als eine Mut- ter das Lob ihres Kindes in einer gelognen elenden Leichenpredigt: aber betrachtet man das Epigramm an ſich, ſo iſts ja artig, und (inſonderheit damals, da die Mythologie, als poetiſches Baugeruͤſte bekannter, und mehr in Ruf war, als jetzt,) poetiſch. Jſts aber ſo viel Geld werth? Das weiß ich nicht! wer kann Liebhaberei, und Lobgedichte taxi- ren, als der Liebhaber, und der Gelobte ſelbſt? Jch trete eine kleine Stufe hoͤher! Zu den Oden! Eine Ode, die wirklich Empfindun- gen ſingt, und in mir erregen will, muß ſich in das Labyrinth der Mythologie gar nicht, oder nur ſelten verlieren. Jn einem Empfindungsvollen klopſtockiſchen Gedicht, oder in Hallers Ode auf die Mariane wuͤrde es ohne Zweifel fremde und geſucht ſeyn, Bil- der, die bei uns nicht ſo nahe an den Kam- mern des Herzens liegen, zu brauchen, um an das Herz des andern zu klopfen. Aber eine Ode, wenn ich ſie als eine poetiſche Ausbildung eines lebhaften Gedanken anſehe, die die Einbildungskraft des an- dern bis zur ſinnlichen Anſchauung erre- gen,

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/150>, abgerufen am 21.11.2024.