Zum Schluß will ich die Theorie von der Ode * hersezzen, die sich am besten aus Rammlers Oden erklären läßt:
"Die wahre Critik erkennet in der Ode "eine höhere Ordnung, die zwar versteckt "seyn, aber niemals vernachläßigt werden "darf. Es gibt mancherlei Ordnungen, in "welchen die Gedanken unsrer Seele auf ein- "ander folgen können. Die Ordnung der "Zeit, des Raums, der Vernunft, des "Witzes, der Scharfsinnigkeit u. s. w. "die Ode verwirft alle diese Ordnungen. "Sie schreibt nicht historisch, wie der "epische, nicht topisch, wie der malerische "Dichter: sie folgt auch nicht der Ordnung "der Vernunft, wie etwa der Lehrdichter. "Die Ordnung, die ihr wesentlich ist, kann "die Ordnung der begeisterten Einbil- "dungskraft genannt werden. Eine einzige "ganze Reihe höchstlebhafter Begriffe, "wie sie nach dem Gesezz einer begeisterten "Einbildungskraft auf einander folgen, ist "eine Ode. Die Mittelbegriffe, welche "die Glieder mit einander verbinden, aber "selbst nicht den höchsten Grad der Lebhaftig-
"keit
* Litt. Br. Th. 17. p. 149. etc;
Zum Schluß will ich die Theorie von der Ode * herſezzen, die ſich am beſten aus Rammlers Oden erklaͤren laͤßt:
„Die wahre Critik erkennet in der Ode „eine hoͤhere Ordnung, die zwar verſteckt „ſeyn, aber niemals vernachlaͤßigt werden „darf. Es gibt mancherlei Ordnungen, in „welchen die Gedanken unſrer Seele auf ein- „ander folgen koͤnnen. Die Ordnung der „Zeit, des Raums, der Vernunft, des „Witzes, der Scharfſinnigkeit u. ſ. w. „die Ode verwirft alle dieſe Ordnungen. „Sie ſchreibt nicht hiſtoriſch, wie der „epiſche, nicht topiſch, wie der maleriſche „Dichter: ſie folgt auch nicht der Ordnung „der Vernunft, wie etwa der Lehrdichter. „Die Ordnung, die ihr weſentlich iſt, kann „die Ordnung der begeiſterten Einbil- „dungskraft genannt werden. Eine einzige „ganze Reihe hoͤchſtlebhafter Begriffe, „wie ſie nach dem Geſezz einer begeiſterten „Einbildungskraft auf einander folgen, iſt „eine Ode. Die Mittelbegriffe, welche „die Glieder mit einander verbinden, aber „ſelbſt nicht den hoͤchſten Grad der Lebhaftig-
„keit
* Litt. Br. Th. 17. p. 149. ꝛc;
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[194/0202]
Zum Schluß will ich die Theorie von der
Ode * herſezzen, die ſich am beſten aus
Rammlers Oden erklaͤren laͤßt:
„Die wahre Critik erkennet in der Ode
„eine hoͤhere Ordnung, die zwar verſteckt
„ſeyn, aber niemals vernachlaͤßigt werden
„darf. Es gibt mancherlei Ordnungen, in
„welchen die Gedanken unſrer Seele auf ein-
„ander folgen koͤnnen. Die Ordnung der
„Zeit, des Raums, der Vernunft, des
„Witzes, der Scharfſinnigkeit u. ſ. w.
„die Ode verwirft alle dieſe Ordnungen.
„Sie ſchreibt nicht hiſtoriſch, wie der
„epiſche, nicht topiſch, wie der maleriſche
„Dichter: ſie folgt auch nicht der Ordnung
„der Vernunft, wie etwa der Lehrdichter.
„Die Ordnung, die ihr weſentlich iſt, kann
„die Ordnung der begeiſterten Einbil-
„dungskraft genannt werden. Eine einzige
„ganze Reihe hoͤchſtlebhafter Begriffe,
„wie ſie nach dem Geſezz einer begeiſterten
„Einbildungskraft auf einander folgen, iſt
„eine Ode. Die Mittelbegriffe, welche
„die Glieder mit einander verbinden, aber
„ſelbſt nicht den hoͤchſten Grad der Lebhaftig-
„keit
* Litt. Br. Th. 17. p. 149. ꝛc;
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/202>, abgerufen am 18.12.2024.
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