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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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leidet noch zuerst die Lieblingswendung so vie-
ler deutschen Vorreden:

vbi plura nitent in carmine, non ego paucis
offendar maculis. --

Dies fodert die wenigste Einbildungskraft,
ist am wenigsten an Regeln gebunden, und
vielleicht ist das freieste und leichteste Syl-
benmaaß auch das angemessenste und einzige
für das Lehrgedicht -- ich meine nicht das
Alexandrinische, sondern das sogenannte
Recitativmetrum, das sich am meisten der
Prosa nähert, die meisten Formen annehmen
kann, sich jeder Materie am besten anschlies-
set, und die Aufmerksamkeit am füglichsten
erhält.



Bisher habe ich einige Dichterlein mit dem
Lehrgedicht abzufertigen, und im Vorhofe der
Poesie aufzuhalten gesucht, damit sie, als Un-
geweihte sich nicht ins Heilige wagten: jetzt
lege ich einen Gegenstand vor, der ins Aller-
heiligste der Dichtkunst gehört, und wie ich
glaube, würdig ist, die ganze Seele eines Ge-
nies allgnugsam auszufüllen: es ist zwar blos

ein

leidet noch zuerſt die Lieblingswendung ſo vie-
ler deutſchen Vorreden:

vbi plura nitent in carmine, non ego paucis
offendar maculis. —

Dies fodert die wenigſte Einbildungskraft,
iſt am wenigſten an Regeln gebunden, und
vielleicht iſt das freieſte und leichteſte Syl-
benmaaß auch das angemeſſenſte und einzige
fuͤr das Lehrgedicht — ich meine nicht das
Alexandriniſche, ſondern das ſogenannte
Recitativmetrum, das ſich am meiſten der
Proſa naͤhert, die meiſten Formen annehmen
kann, ſich jeder Materie am beſten anſchlieſ-
ſet, und die Aufmerkſamkeit am fuͤglichſten
erhaͤlt.



Bisher habe ich einige Dichterlein mit dem
Lehrgedicht abzufertigen, und im Vorhofe der
Poeſie aufzuhalten geſucht, damit ſie, als Un-
geweihte ſich nicht ins Heilige wagten: jetzt
lege ich einen Gegenſtand vor, der ins Aller-
heiligſte der Dichtkunſt gehoͤrt, und wie ich
glaube, wuͤrdig iſt, die ganze Seele eines Ge-
nies allgnugſam auszufuͤllen: es iſt zwar blos

ein
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[212/0220] leidet noch zuerſt die Lieblingswendung ſo vie- ler deutſchen Vorreden: vbi plura nitent in carmine, non ego paucis offendar maculis. — Dies fodert die wenigſte Einbildungskraft, iſt am wenigſten an Regeln gebunden, und vielleicht iſt das freieſte und leichteſte Syl- benmaaß auch das angemeſſenſte und einzige fuͤr das Lehrgedicht — ich meine nicht das Alexandriniſche, ſondern das ſogenannte Recitativmetrum, das ſich am meiſten der Proſa naͤhert, die meiſten Formen annehmen kann, ſich jeder Materie am beſten anſchlieſ- ſet, und die Aufmerkſamkeit am fuͤglichſten erhaͤlt. Bisher habe ich einige Dichterlein mit dem Lehrgedicht abzufertigen, und im Vorhofe der Poeſie aufzuhalten geſucht, damit ſie, als Un- geweihte ſich nicht ins Heilige wagten: jetzt lege ich einen Gegenſtand vor, der ins Aller- heiligſte der Dichtkunſt gehoͤrt, und wie ich glaube, wuͤrdig iſt, die ganze Seele eines Ge- nies allgnugſam auszufuͤllen: es iſt zwar blos ein

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/220>, abgerufen am 24.11.2024.