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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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gleich gestehe, daß zu der von dem Engellän-
der ausgeführten Materie nicht leicht ein
glücklicherer Ort hätte erwählet werden kön-
nen. Aber Einsamkeit muß immer herrschen;
die Lage selbst muß solche vermischte Empfin-
dungen erwecken können. Daher sind ein-
same Zellen und Creuzgänge, wo Eloise ihre
Briefe geschrieben: Ufer, wo ein Strom
traurig dahinrauscht, (wo der israelitische
Dichter seine Elegie verfertiget,) Wälder *

Felsen,
als in einigen Sommernächten, unter einem
bestirnten Himmel, in der schweigenden Laube
eines Gärtchen, das an einen Kirchhof stieß,
wo alte heillge Linden, vom Hauche der Nacht
beseelt, Schauder in die Seele rauschten, und
aus den etwas entferntern Trümmern eines
sinkenden ritterlichen Schlosses, und aus ihren
Wohnungen im alten gothischen Kirchthurme
die philosophische Eule ihre hole Accente manch-
mal darunter sties -- Alsdenn findet man sich
in einer Lage, da die Stürme von Gedanken
herabbrausen und ruhn, und die Seele wird
stille, wie eine stille See in der Sommernacht,
und hört gleichsam die Stimmen aus den Grä-
bern der Todten, und präget sie in ihr Jnnerstes.
* Wem fällt hier nicht jener hallersche Eingang
zu seinem Gedicht über die Ewigkeit ein, wo,
er

gleich geſtehe, daß zu der von dem Engellaͤn-
der ausgefuͤhrten Materie nicht leicht ein
gluͤcklicherer Ort haͤtte erwaͤhlet werden koͤn-
nen. Aber Einſamkeit muß immer herrſchen;
die Lage ſelbſt muß ſolche vermiſchte Empfin-
dungen erwecken koͤnnen. Daher ſind ein-
ſame Zellen und Creuzgaͤnge, wo Eloiſe ihre
Briefe geſchrieben: Ufer, wo ein Strom
traurig dahinrauſcht, (wo der iſraelitiſche
Dichter ſeine Elegie verfertiget,) Waͤlder *

Felſen,
als in einigen Sommernaͤchten, unter einem
beſtirnten Himmel, in der ſchweigenden Laube
eines Gaͤrtchen, das an einen Kirchhof ſtieß,
wo alte heillge Linden, vom Hauche der Nacht
beſeelt, Schauder in die Seele rauſchten, und
aus den etwas entferntern Truͤmmern eines
ſinkenden ritterlichen Schloſſes, und aus ihren
Wohnungen im alten gothiſchen Kirchthurme
die philoſophiſche Eule ihre hole Accente manch-
mal darunter ſties — Alsdenn findet man ſich
in einer Lage, da die Stuͤrme von Gedanken
herabbrauſen und ruhn, und die Seele wird
ſtille, wie eine ſtille See in der Sommernacht,
und hoͤrt gleichſam die Stimmen aus den Graͤ-
bern der Todten, und praͤget ſie in ihr Jnnerſtes.
* Wem faͤllt hier nicht jener hallerſche Eingang
zu ſeinem Gedicht uͤber die Ewigkeit ein, wo,
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[236/0244] gleich geſtehe, daß zu der von dem Engellaͤn- der ausgefuͤhrten Materie nicht leicht ein gluͤcklicherer Ort haͤtte erwaͤhlet werden koͤn- nen. Aber Einſamkeit muß immer herrſchen; die Lage ſelbſt muß ſolche vermiſchte Empfin- dungen erwecken koͤnnen. Daher ſind ein- ſame Zellen und Creuzgaͤnge, wo Eloiſe ihre Briefe geſchrieben: Ufer, wo ein Strom traurig dahinrauſcht, (wo der iſraelitiſche Dichter ſeine Elegie verfertiget,) Waͤlder * Felſen, * * Wem faͤllt hier nicht jener hallerſche Eingang zu ſeinem Gedicht uͤber die Ewigkeit ein, wo, er * als in einigen Sommernaͤchten, unter einem beſtirnten Himmel, in der ſchweigenden Laube eines Gaͤrtchen, das an einen Kirchhof ſtieß, wo alte heillge Linden, vom Hauche der Nacht beſeelt, Schauder in die Seele rauſchten, und aus den etwas entferntern Truͤmmern eines ſinkenden ritterlichen Schloſſes, und aus ihren Wohnungen im alten gothiſchen Kirchthurme die philoſophiſche Eule ihre hole Accente manch- mal darunter ſties — Alsdenn findet man ſich in einer Lage, da die Stuͤrme von Gedanken herabbrauſen und ruhn, und die Seele wird ſtille, wie eine ſtille See in der Sommernacht, und hoͤrt gleichſam die Stimmen aus den Graͤ- bern der Todten, und praͤget ſie in ihr Jnnerſtes.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/244>, abgerufen am 20.05.2024.