Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.alle verschiedne Fälle aus einander zu sezzen. diesen hat, und nächstens die Sonne an den Mond, und den lieben Mond an die liebe Sonne wird schreiben lassen. Daß viele unter ihnen nicht schöne Stellen haben, wer wollte das läugnen, der z. E. Dorats Poesie kennet; aber daß alle seine Nachahmer schön, daß dieses Feld einer Hauptbeschäftigung würdig sey, daß das Gedichte dieser Art vorzüglich nutzbar seyn, wer wollte das behaupten! * Woher sind diese so allgemein für den einzigen
Gegenstand der Elegie gehalten? Rathe ich recht, so möchten drei Ursachen seyn. Zuerst die lieben Alten, z. E. Ovid, Tibull und Pro- perz haben sich meistens in diese Gattung ein- geschränket, und ihr Beispiel hat meistens Ne- gel abgeben müssen. -- Ferner die verliebte Empfindung ist der Elegie am paßlichsten: das stille Feuer in ihr, das selten stürmende Lei- denschaft wird; aber desto mehr durch die Glie- der schleicht, wie die Sappho in ihrem zwei- ten aismate aus Erfahrung singet, und Kleist seine Phyllis an Damon singen läßt; diese stille Glut erhält sich am besten in dem Maasse, das die Elegie fodert. Drittens ist auch kein Misvergnügen uns so angenehm, als die ver- liebte alle verſchiedne Faͤlle aus einander zu ſezzen. dieſen hat, und naͤchſtens die Sonne an den Mond, und den lieben Mond an die liebe Sonne wird ſchreiben laſſen. Daß viele unter ihnen nicht ſchoͤne Stellen haben, wer wollte das laͤugnen, der z. E. Dorats Poeſie kennet; aber daß alle ſeine Nachahmer ſchoͤn, daß dieſes Feld einer Hauptbeſchaͤftigung wuͤrdig ſey, daß das Gedichte dieſer Art vorzuͤglich nutzbar ſeyn, wer wollte das behaupten! * Woher ſind dieſe ſo allgemein fuͤr den einzigen
Gegenſtand der Elegie gehalten? Rathe ich recht, ſo moͤchten drei Urſachen ſeyn. Zuerſt die lieben Alten, z. E. Ovid, Tibull und Pro- perz haben ſich meiſtens in dieſe Gattung ein- geſchraͤnket, und ihr Beiſpiel hat meiſtens Ne- gel abgeben muͤſſen. — Ferner die verliebte Empfindung iſt der Elegie am paßlichſten: das ſtille Feuer in ihr, das ſelten ſtuͤrmende Lei- denſchaft wird; aber deſto mehr durch die Glie- der ſchleicht, wie die Sappho in ihrem zwei- ten αισματε aus Erfahrung ſinget, und Kleiſt ſeine Phyllis an Damon ſingen laͤßt; dieſe ſtille Glut erhaͤlt ſich am beſten in dem Maaſſe, das die Elegie fodert. Drittens iſt auch kein Misvergnuͤgen uns ſo angenehm, als die ver- liebte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0250" n="242"/> alle verſchiedne Faͤlle aus einander zu ſezzen.<lb/> Die verliebten Klagen <note xml:id="seg2pn_19_1" next="#seg2pn_19_2" place="foot" n="*">Woher ſind dieſe ſo allgemein fuͤr den einzigen<lb/> Gegenſtand der Elegie gehalten? Rathe ich<lb/> recht, ſo moͤchten drei Urſachen ſeyn. Zuerſt<lb/> die lieben Alten, z. E. Ovid, Tibull und Pro-<lb/> perz haben ſich meiſtens in dieſe Gattung ein-<lb/> geſchraͤnket, und ihr Beiſpiel hat meiſtens Ne-<lb/> gel abgeben muͤſſen. — Ferner die verliebte<lb/> Empfindung iſt der Elegie am paßlichſten: das<lb/> ſtille Feuer in ihr, das ſelten ſtuͤrmende Lei-<lb/> denſchaft wird; aber deſto mehr durch die Glie-<lb/> der ſchleicht, wie die <hi rendition="#fr">Sappho</hi> in ihrem zwei-<lb/> ten αισματε aus Erfahrung ſinget, und <hi rendition="#fr">Kleiſt</hi><lb/> ſeine Phyllis an Damon ſingen laͤßt; dieſe<lb/> ſtille Glut erhaͤlt ſich am beſten in dem Maaſſe,<lb/> das die Elegie fodert. Drittens iſt auch kein<lb/> Misvergnuͤgen uns ſo angenehm, als die ver-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">liebte</fw></note> gehoͤren zu dieſer<lb/> Gattung, und faſt ſcheint es, daß außer<lb/> <fw place="bottom" type="catch">dieſen</fw><lb/><note xml:id="seg2pn_18_3" prev="#seg2pn_18_2" place="foot" n="*">hat, und naͤchſtens die Sonne an den Mond,<lb/> und den lieben Mond an die liebe Sonne wird<lb/> ſchreiben laſſen. Daß viele unter ihnen nicht<lb/> ſchoͤne Stellen haben, wer wollte das laͤugnen,<lb/> der z. E. <hi rendition="#fr">Dorats</hi> Poeſie kennet; aber daß<lb/> alle ſeine Nachahmer ſchoͤn, daß dieſes Feld<lb/> einer Hauptbeſchaͤftigung wuͤrdig ſey, daß das<lb/> Gedichte dieſer <hi rendition="#fr">Art</hi> vorzuͤglich nutzbar ſeyn,<lb/> wer wollte das behaupten!</note><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [242/0250]
alle verſchiedne Faͤlle aus einander zu ſezzen.
Die verliebten Klagen * gehoͤren zu dieſer
Gattung, und faſt ſcheint es, daß außer
dieſen
*
* Woher ſind dieſe ſo allgemein fuͤr den einzigen
Gegenſtand der Elegie gehalten? Rathe ich
recht, ſo moͤchten drei Urſachen ſeyn. Zuerſt
die lieben Alten, z. E. Ovid, Tibull und Pro-
perz haben ſich meiſtens in dieſe Gattung ein-
geſchraͤnket, und ihr Beiſpiel hat meiſtens Ne-
gel abgeben muͤſſen. — Ferner die verliebte
Empfindung iſt der Elegie am paßlichſten: das
ſtille Feuer in ihr, das ſelten ſtuͤrmende Lei-
denſchaft wird; aber deſto mehr durch die Glie-
der ſchleicht, wie die Sappho in ihrem zwei-
ten αισματε aus Erfahrung ſinget, und Kleiſt
ſeine Phyllis an Damon ſingen laͤßt; dieſe
ſtille Glut erhaͤlt ſich am beſten in dem Maaſſe,
das die Elegie fodert. Drittens iſt auch kein
Misvergnuͤgen uns ſo angenehm, als die ver-
liebte
* hat, und naͤchſtens die Sonne an den Mond,
und den lieben Mond an die liebe Sonne wird
ſchreiben laſſen. Daß viele unter ihnen nicht
ſchoͤne Stellen haben, wer wollte das laͤugnen,
der z. E. Dorats Poeſie kennet; aber daß
alle ſeine Nachahmer ſchoͤn, daß dieſes Feld
einer Hauptbeſchaͤftigung wuͤrdig ſey, daß das
Gedichte dieſer Art vorzuͤglich nutzbar ſeyn,
wer wollte das behaupten!
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |