Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.das Zuthun äußerer Zufälle kann jeder zuwei- wenn "nen Menschen, die, da sie die Häupter sin-
"ken lassen, und heiße Thränen fließen ihnen "unter Seufzern über die Wangen zur Erde "nieder: und die schöne Mähne sinkt aus den "Locken herab, und wälzt sich im Staube:" Jch sage, ob diese Zeit, da sich Thiere und Menschen noch mehr kannten und verstanden und liebten, ziemlich vorbei ist: so dörfte doch eine Elegie auf ein treues und geliebtes Thier oft verdienter und herzlicher seyn, als man- ches stattliche Trauergedicht auf einen Jost: ich nehme an, daß jenes und dieses nicht Satyre ist. das Zuthun aͤußerer Zufaͤlle kann jeder zuwei- wenn „nen Menſchen, die, da ſie die Haͤupter ſin-
„ken laſſen, und heiße Thraͤnen fließen ihnen „unter Seufzern uͤber die Wangen zur Erde „nieder: und die ſchoͤne Maͤhne ſinkt aus den „Locken herab, und waͤlzt ſich im Staube:„ Jch ſage, ob dieſe Zeit, da ſich Thiere und Menſchen noch mehr kannten und verſtanden und liebten, ziemlich vorbei iſt: ſo doͤrfte doch eine Elegie auf ein treues und geliebtes Thier oft verdienter und herzlicher ſeyn, als man- ches ſtattliche Trauergedicht auf einen Joſt: ich nehme an, daß jenes und dieſes nicht Satyre iſt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0252" n="244"/> das Zuthun aͤußerer Zufaͤlle kann jeder zuwei-<lb/> len in die Gemuͤthsverfaſſung etwa bei einem<lb/> einſamen Spatziergange geſezzt werden, daß<lb/> er ſein ganzes Leben zuſammenrechnet, das<lb/> Gute und Boͤſe darinn uͤberdenkt, und ſich<lb/> denen daraus entſtehenden Empfindungen uͤber-<lb/> laͤßt. Mit einem Worte, die Seele muß<lb/> ſich in der Gelaſſenheit befinden, wo ihr we-<lb/> der die bittre Thraͤne des Leides ausgepreſſet,<lb/> noch der tiefe Seufzer der Angſt entriſſen,<lb/> noch das roͤchelnde Schluchzen der Wehmuth<lb/> abgezwungen wird. Wenn ja die Thraͤnen<lb/> fließen: ſo moͤgen ſie ſo milde fließen, und<lb/> <fw place="bottom" type="catch">wenn</fw><lb/><note xml:id="seg2pn_20_2" prev="#seg2pn_20_1" place="foot" n="*">„nen Menſchen, die, da ſie die Haͤupter ſin-<lb/> „ken laſſen, und heiße Thraͤnen fließen ihnen<lb/> „unter Seufzern uͤber die Wangen zur Erde<lb/> „nieder: und die ſchoͤne Maͤhne ſinkt aus den<lb/> „Locken herab, und waͤlzt ſich im Staube:„<lb/> Jch ſage, ob dieſe Zeit, da ſich Thiere und<lb/> Menſchen noch mehr kannten und verſtanden<lb/> und liebten, ziemlich vorbei iſt: ſo doͤrfte doch<lb/> eine Elegie auf ein treues und geliebtes Thier<lb/> oft verdienter und herzlicher ſeyn, als man-<lb/> ches ſtattliche Trauergedicht auf einen Joſt:<lb/> ich nehme an, daß jenes und dieſes nicht<lb/> Satyre iſt.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [244/0252]
das Zuthun aͤußerer Zufaͤlle kann jeder zuwei-
len in die Gemuͤthsverfaſſung etwa bei einem
einſamen Spatziergange geſezzt werden, daß
er ſein ganzes Leben zuſammenrechnet, das
Gute und Boͤſe darinn uͤberdenkt, und ſich
denen daraus entſtehenden Empfindungen uͤber-
laͤßt. Mit einem Worte, die Seele muß
ſich in der Gelaſſenheit befinden, wo ihr we-
der die bittre Thraͤne des Leides ausgepreſſet,
noch der tiefe Seufzer der Angſt entriſſen,
noch das roͤchelnde Schluchzen der Wehmuth
abgezwungen wird. Wenn ja die Thraͤnen
fließen: ſo moͤgen ſie ſo milde fließen, und
wenn
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* „nen Menſchen, die, da ſie die Haͤupter ſin-
„ken laſſen, und heiße Thraͤnen fließen ihnen
„unter Seufzern uͤber die Wangen zur Erde
„nieder: und die ſchoͤne Maͤhne ſinkt aus den
„Locken herab, und waͤlzt ſich im Staube:„
Jch ſage, ob dieſe Zeit, da ſich Thiere und
Menſchen noch mehr kannten und verſtanden
und liebten, ziemlich vorbei iſt: ſo doͤrfte doch
eine Elegie auf ein treues und geliebtes Thier
oft verdienter und herzlicher ſeyn, als man-
ches ſtattliche Trauergedicht auf einen Joſt:
ich nehme an, daß jenes und dieſes nicht
Satyre iſt.
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