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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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wenn Seufzer gehört werden: so mögen sie
milde fließen, und wenn Seufzer gehört wer-
den: so mögen sie uns zum sanften Mitleid
stimmen, und nicht zur Bangigkeit quälen.

Die Gedanken nun selbst müssen der
Würde der Empfindungen angemessen * seyn.
Es wird dabei ein Geist vorausgesezzt, der
sich weder durch den Verlust eines schlechten
Gutes dahin reißen läßt, noch auch jedem
Verlust frisch widersteht. Folglich werden
die erhabnen Gedanken ** aus der Elegie

weg-
* Oder vielmehr der Weisheit der Empfindun-
gen. Hiezu gehört, daß er sich ganz mit
seinem Gegenstande
beschäftige, doch so,
daß ich ihn nicht mit einem feurigen unver-
wandten Blicke ansehe, wie in der Ode, son-
dern mit einem nassen thränenden Auge, das
auf seine verschiedne Seiten irret, und die
genoßnen Zeiten, die Gegenwart und die Zu-
kunft mit matten suchenden Blicken durchwan-
dert, -- Hiezu gehört zweitens, daß er den
Gegenstand nie anders, als in Beziehung
auf sich, betrachtet: dies ist insonderheit das
Zeichen der wahren Empfindung; dies rührt,
und ist statt aller beobachteten Regeln.
** Wohl kann sich unter die reichen Empfindun-
gen hin und wieder ein Gedanke mischen, in
dem
Q 3

wenn Seufzer gehoͤrt werden: ſo moͤgen ſie
milde fließen, und wenn Seufzer gehoͤrt wer-
den: ſo moͤgen ſie uns zum ſanften Mitleid
ſtimmen, und nicht zur Bangigkeit quaͤlen.

Die Gedanken nun ſelbſt muͤſſen der
Wuͤrde der Empfindungen angemeſſen * ſeyn.
Es wird dabei ein Geiſt vorausgeſezzt, der
ſich weder durch den Verluſt eines ſchlechten
Gutes dahin reißen laͤßt, noch auch jedem
Verluſt friſch widerſteht. Folglich werden
die erhabnen Gedanken ** aus der Elegie

weg-
* Oder vielmehr der Weisheit der Empfindun-
gen. Hiezu gehoͤrt, daß er ſich ganz mit
ſeinem Gegenſtande
beſchaͤftige, doch ſo,
daß ich ihn nicht mit einem feurigen unver-
wandten Blicke anſehe, wie in der Ode, ſon-
dern mit einem naſſen thraͤnenden Auge, das
auf ſeine verſchiedne Seiten irret, und die
genoßnen Zeiten, die Gegenwart und die Zu-
kunft mit matten ſuchenden Blicken durchwan-
dert, — Hiezu gehoͤrt zweitens, daß er den
Gegenſtand nie anders, als in Beziehung
auf ſich, betrachtet: dies iſt inſonderheit das
Zeichen der wahren Empfindung; dies ruͤhrt,
und iſt ſtatt aller beobachteten Regeln.
** Wohl kann ſich unter die reichen Empfindun-
gen hin und wieder ein Gedanke miſchen, in
dem
Q 3
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[245/0253] wenn Seufzer gehoͤrt werden: ſo moͤgen ſie milde fließen, und wenn Seufzer gehoͤrt wer- den: ſo moͤgen ſie uns zum ſanften Mitleid ſtimmen, und nicht zur Bangigkeit quaͤlen. Die Gedanken nun ſelbſt muͤſſen der Wuͤrde der Empfindungen angemeſſen * ſeyn. Es wird dabei ein Geiſt vorausgeſezzt, der ſich weder durch den Verluſt eines ſchlechten Gutes dahin reißen laͤßt, noch auch jedem Verluſt friſch widerſteht. Folglich werden die erhabnen Gedanken ** aus der Elegie weg- * Oder vielmehr der Weisheit der Empfindun- gen. Hiezu gehoͤrt, daß er ſich ganz mit ſeinem Gegenſtande beſchaͤftige, doch ſo, daß ich ihn nicht mit einem feurigen unver- wandten Blicke anſehe, wie in der Ode, ſon- dern mit einem naſſen thraͤnenden Auge, das auf ſeine verſchiedne Seiten irret, und die genoßnen Zeiten, die Gegenwart und die Zu- kunft mit matten ſuchenden Blicken durchwan- dert, — Hiezu gehoͤrt zweitens, daß er den Gegenſtand nie anders, als in Beziehung auf ſich, betrachtet: dies iſt inſonderheit das Zeichen der wahren Empfindung; dies ruͤhrt, und iſt ſtatt aller beobachteten Regeln. ** Wohl kann ſich unter die reichen Empfindun- gen hin und wieder ein Gedanke miſchen, in dem Q 3

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/253>, abgerufen am 21.11.2024.