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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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"ein größeres Gewicht. Einen Aristides
"selbst würde es leicht gewesen seyn, anzukla-
"gen, weil die Beweise seiner vorgeblichen
"Schuld in den Herzen der meisten schon vom
"Neide vergiftet lagen. Daher kam es auch,
"daß die meisten großen Männer sich vor den
"Anklagen so sehr fürchten mußten. Grün-
"de hingegen, welche auf die Gewißheit ge-
"hen, haben diese Vortheile nicht.

"Endlich die Leidenschaften. Alle kann
"der gerichtliche Redner im höchsten Grade
"erregen. Er erweicht nicht blos zum Mit-
"leid, er rührt bis zum Schluchzen. Er bringt
"den Zorn nicht nur zum Kochen, er läßt ihn
"auch zur Wuth ausbrechen. Der Zuhörer
"wird vom Schrecken nicht nur blaß: er läuft
"in der Angst wie ein Unsinniger herum;
"kurz, er macht nicht, daß der Zuhörer an-
"fängt zu überlegen, sondern daß er sich auf
"der Stelle entschließt. Jn diesem Zeit-
"punkte steht er vor der beweglichen Menge
"fast, wie ein Gott, da, der die Herzen der-
"selben, gleich den Wasserbächen in Händen
"hat.

"Nun

„ein groͤßeres Gewicht. Einen Ariſtides
„ſelbſt wuͤrde es leicht geweſen ſeyn, anzukla-
„gen, weil die Beweiſe ſeiner vorgeblichen
„Schuld in den Herzen der meiſten ſchon vom
„Neide vergiftet lagen. Daher kam es auch,
„daß die meiſten großen Maͤnner ſich vor den
„Anklagen ſo ſehr fuͤrchten mußten. Gruͤn-
„de hingegen, welche auf die Gewißheit ge-
„hen, haben dieſe Vortheile nicht.

„Endlich die Leidenſchaften. Alle kann
„der gerichtliche Redner im hoͤchſten Grade
„erregen. Er erweicht nicht blos zum Mit-
„leid, er ruͤhrt bis zum Schluchzen. Er bringt
„den Zorn nicht nur zum Kochen, er laͤßt ihn
„auch zur Wuth ausbrechen. Der Zuhoͤrer
„wird vom Schrecken nicht nur blaß: er laͤuft
„in der Angſt wie ein Unſinniger herum;
„kurz, er macht nicht, daß der Zuhoͤrer an-
„faͤngt zu uͤberlegen, ſondern daß er ſich auf
„der Stelle entſchließt. Jn dieſem Zeit-
„punkte ſteht er vor der beweglichen Menge
„faſt, wie ein Gott, da, der die Herzen der-
„ſelben, gleich den Waſſerbaͤchen in Haͤnden
„hat.

„Nun
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[266/0274] „ein groͤßeres Gewicht. Einen Ariſtides „ſelbſt wuͤrde es leicht geweſen ſeyn, anzukla- „gen, weil die Beweiſe ſeiner vorgeblichen „Schuld in den Herzen der meiſten ſchon vom „Neide vergiftet lagen. Daher kam es auch, „daß die meiſten großen Maͤnner ſich vor den „Anklagen ſo ſehr fuͤrchten mußten. Gruͤn- „de hingegen, welche auf die Gewißheit ge- „hen, haben dieſe Vortheile nicht. „Endlich die Leidenſchaften. Alle kann „der gerichtliche Redner im hoͤchſten Grade „erregen. Er erweicht nicht blos zum Mit- „leid, er ruͤhrt bis zum Schluchzen. Er bringt „den Zorn nicht nur zum Kochen, er laͤßt ihn „auch zur Wuth ausbrechen. Der Zuhoͤrer „wird vom Schrecken nicht nur blaß: er laͤuft „in der Angſt wie ein Unſinniger herum; „kurz, er macht nicht, daß der Zuhoͤrer an- „faͤngt zu uͤberlegen, ſondern daß er ſich auf „der Stelle entſchließt. Jn dieſem Zeit- „punkte ſteht er vor der beweglichen Menge „faſt, wie ein Gott, da, der die Herzen der- „ſelben, gleich den Waſſerbaͤchen in Haͤnden „hat. „Nun

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/274>, abgerufen am 21.11.2024.