ausmalt, und bei dem Schlußwort ein Siegel der Vollendung darauf drückt. Alle die fei- nen Künste der Lateiner gehen verloren, die eine Saite nach der andern mit jedem neuen Wort treffen, und mit dem lezten, das ganze Ohr und die ganze Seele füllen. Da nun die deutsche Sprache hierinn nie die lateini- sche erreichen kann: warum entsagt sie denn ihrer eignen Freiheit, um in römischen Fes- seln sich periodisch im Triumph aufführen zu lassen?
Hat der Cicero auf der Kanzel mit dem Römer nichts ähnliches, als: "viel Worte "machen; einen kleinen Gedanken durch weit- "schweifende Redensarten aufschwellen, laby- "rinthische Perioden flechten, bei welchen "man dreimal Athem holen muß, ehe man "einen ganzen Sinn fassen kann *:" so ver- kennet er Cicero ganz. "Sein Stil ist als- "denn der schlechte Kanzelstil eines seichten "Homileten, der nur deswegen solche Pnev- "mata herpredigt, damit die Zuhörer, ehe "sie ans Ende derselben kommen, den Anfang "schon mögen vergessen haben, und ihn deut-
"lich
* Litt. Br. Th. 3. p. 91.
ausmalt, und bei dem Schlußwort ein Siegel der Vollendung darauf druͤckt. Alle die fei- nen Kuͤnſte der Lateiner gehen verloren, die eine Saite nach der andern mit jedem neuen Wort treffen, und mit dem lezten, das ganze Ohr und die ganze Seele fuͤllen. Da nun die deutſche Sprache hierinn nie die lateini- ſche erreichen kann: warum entſagt ſie denn ihrer eignen Freiheit, um in roͤmiſchen Feſ- ſeln ſich periodiſch im Triumph auffuͤhren zu laſſen?
Hat der Cicero auf der Kanzel mit dem Roͤmer nichts aͤhnliches, als: „viel Worte „machen; einen kleinen Gedanken durch weit- „ſchweifende Redensarten aufſchwellen, laby- „rinthiſche Perioden flechten, bei welchen „man dreimal Athem holen muß, ehe man „einen ganzen Sinn faſſen kann *:„ ſo ver- kennet er Cicero ganz. „Sein Stil iſt als- „denn der ſchlechte Kanzelſtil eines ſeichten „Homileten, der nur deswegen ſolche Pnev- „mata herpredigt, damit die Zuhoͤrer, ehe „ſie ans Ende derſelben kommen, den Anfang „ſchon moͤgen vergeſſen haben, und ihn deut-
„lich
* Litt. Br. Th. 3. p. 91.
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ausmalt, und bei dem Schlußwort ein Siegel
der Vollendung darauf druͤckt. Alle die fei-
nen Kuͤnſte der Lateiner gehen verloren, die
eine Saite nach der andern mit jedem neuen
Wort treffen, und mit dem lezten, das ganze
Ohr und die ganze Seele fuͤllen. Da nun
die deutſche Sprache hierinn nie die lateini-
ſche erreichen kann: warum entſagt ſie denn
ihrer eignen Freiheit, um in roͤmiſchen Feſ-
ſeln ſich periodiſch im Triumph auffuͤhren
zu laſſen?
Hat der Cicero auf der Kanzel mit dem
Roͤmer nichts aͤhnliches, als: „viel Worte
„machen; einen kleinen Gedanken durch weit-
„ſchweifende Redensarten aufſchwellen, laby-
„rinthiſche Perioden flechten, bei welchen
„man dreimal Athem holen muß, ehe man
„einen ganzen Sinn faſſen kann *:„ ſo ver-
kennet er Cicero ganz. „Sein Stil iſt als-
„denn der ſchlechte Kanzelſtil eines ſeichten
„Homileten, der nur deswegen ſolche Pnev-
„mata herpredigt, damit die Zuhoͤrer, ehe
„ſie ans Ende derſelben kommen, den Anfang
„ſchon moͤgen vergeſſen haben, und ihn deut-
„lich
* Litt. Br. Th. 3. p. 91.
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/294>, abgerufen am 21.11.2024.
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