"lich hören können, ohne ihn im geringsten "zu verstehen. -- "Wenn solche Perioden, "die man geschrieben oder gedruckt, durch "alle ihre verschränkte und verschraubte Glie- "der und Einschiebsel kaum mit dem Auge "verfolgen kann, ohne schwindlicht zu wer- "den -- wenn solche Perioden uns von der "bedächtlichen langsamen Aussprache eines "Kanzelredners Wort vor Wort zugezählet "werden; nimmermehr kann die feurigste "Aufmerksamkeit, das beste Gedächtniß sie "in ihrem ganzen Zusammenhange fassen, und "am Ende auf einmal übersehen *. Und im "Grunde sind dies nichts weniger, als cicero- "nianische Perioden. Man suche die aller- "längsten aus den Reden des Römers: man "findet keinen einzigen, in welchem die "Symmetrie in Gedanken und Worten ver- "nachläßigt ist. Nur diese Symmetrie macht "die langen zusammengesetzten Perioden er- "träglich, besonders wenn sie selten einge- "streuet werden **."
Jch schreibe diese Anmerkungen mit Ver- gnügen ab, weil sie wahr, nach dem Zustande
unse-
* Th. 6. p. 313.
** p. 317.
„lich hoͤren koͤnnen, ohne ihn im geringſten „zu verſtehen. — „Wenn ſolche Perioden, „die man geſchrieben oder gedruckt, durch „alle ihre verſchraͤnkte und verſchraubte Glie- „der und Einſchiebſel kaum mit dem Auge „verfolgen kann, ohne ſchwindlicht zu wer- „den — wenn ſolche Perioden uns von der „bedaͤchtlichen langſamen Ausſprache eines „Kanzelredners Wort vor Wort zugezaͤhlet „werden; nimmermehr kann die feurigſte „Aufmerkſamkeit, das beſte Gedaͤchtniß ſie „in ihrem ganzen Zuſammenhange faſſen, und „am Ende auf einmal uͤberſehen *. Und im „Grunde ſind dies nichts weniger, als cicero- „nianiſche Perioden. Man ſuche die aller- „laͤngſten aus den Reden des Roͤmers: man „findet keinen einzigen, in welchem die „Symmetrie in Gedanken und Worten ver- „nachlaͤßigt iſt. Nur dieſe Symmetrie macht „die langen zuſammengeſetzten Perioden er- „traͤglich, beſonders wenn ſie ſelten einge- „ſtreuet werden **.„
Jch ſchreibe dieſe Anmerkungen mit Ver- gnuͤgen ab, weil ſie wahr, nach dem Zuſtande
unſe-
* Th. 6. p. 313.
** p. 317.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0295"n="287"/>„lich hoͤren koͤnnen, ohne ihn im geringſten<lb/>„zu verſtehen. —„Wenn ſolche Perioden,<lb/>„die man geſchrieben oder gedruckt, durch<lb/>„alle ihre verſchraͤnkte und verſchraubte Glie-<lb/>„der und Einſchiebſel kaum mit dem Auge<lb/>„verfolgen kann, ohne ſchwindlicht zu wer-<lb/>„den — wenn ſolche Perioden uns von der<lb/>„bedaͤchtlichen langſamen Ausſprache eines<lb/>„Kanzelredners Wort vor Wort zugezaͤhlet<lb/>„werden; nimmermehr kann die feurigſte<lb/>„Aufmerkſamkeit, das beſte Gedaͤchtniß ſie<lb/>„in ihrem ganzen Zuſammenhange faſſen, und<lb/>„am Ende auf einmal uͤberſehen <noteplace="foot"n="*">Th. 6. p. 313.</note>. Und im<lb/>„Grunde ſind dies nichts weniger, als <hirendition="#fr">cicero-<lb/>„nianiſche</hi> Perioden. Man ſuche die aller-<lb/>„laͤngſten aus den Reden des Roͤmers: man<lb/>„findet keinen einzigen, in welchem die<lb/>„Symmetrie in Gedanken und Worten ver-<lb/>„nachlaͤßigt iſt. Nur dieſe Symmetrie macht<lb/>„die langen zuſammengeſetzten Perioden er-<lb/>„traͤglich, beſonders wenn ſie ſelten einge-<lb/>„ſtreuet werden <noteplace="foot"n="**">p. 317.</note>.„</p><lb/><p>Jch ſchreibe dieſe Anmerkungen mit Ver-<lb/>
gnuͤgen ab, weil ſie wahr, nach dem Zuſtande<lb/><fwplace="bottom"type="catch">unſe-</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[287/0295]
„lich hoͤren koͤnnen, ohne ihn im geringſten
„zu verſtehen. — „Wenn ſolche Perioden,
„die man geſchrieben oder gedruckt, durch
„alle ihre verſchraͤnkte und verſchraubte Glie-
„der und Einſchiebſel kaum mit dem Auge
„verfolgen kann, ohne ſchwindlicht zu wer-
„den — wenn ſolche Perioden uns von der
„bedaͤchtlichen langſamen Ausſprache eines
„Kanzelredners Wort vor Wort zugezaͤhlet
„werden; nimmermehr kann die feurigſte
„Aufmerkſamkeit, das beſte Gedaͤchtniß ſie
„in ihrem ganzen Zuſammenhange faſſen, und
„am Ende auf einmal uͤberſehen *. Und im
„Grunde ſind dies nichts weniger, als cicero-
„nianiſche Perioden. Man ſuche die aller-
„laͤngſten aus den Reden des Roͤmers: man
„findet keinen einzigen, in welchem die
„Symmetrie in Gedanken und Worten ver-
„nachlaͤßigt iſt. Nur dieſe Symmetrie macht
„die langen zuſammengeſetzten Perioden er-
„traͤglich, beſonders wenn ſie ſelten einge-
„ſtreuet werden **.„
Jch ſchreibe dieſe Anmerkungen mit Ver-
gnuͤgen ab, weil ſie wahr, nach dem Zuſtande
unſe-
* Th. 6. p. 313.
** p. 317.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/295>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.