giomontans u. s. w. was waren sie? Philo- logen, die in Jtalien meistens gezogen, latei- nisch dachten, und die Wissenschaften, die sich zur neuen Form gebaren, mit lateinischem Wasser tauften. Die lateinische Form hat sich von diesem zarten Alter an sehr erhalten: der Zuschnitt der Gelehrsamkeit, die Stiftung und Einrichtung der Akade- mien, die Zunftgesezze der Litteratur, die Schulen und die Bildung im Ganzen ward Römisch -- und ist es noch.
Jn Deutschland hat Luther in diesem Ge- sichtspunkt unendlich Verdienst. Er ists, der die deutsche Sprache, einen schlafenden Rie- sen, aufgewecket, und losgebunden: er ists, der die scholastische Wortkrämerei, wie jene Wechselertische, verschüttet: er hat durch seine Reformation eine ganze Nation zum Denken und Gefühl erhoben. Laß es also seyn, daß ihm der feinste Pedant, den vielleicht die Welt gesehen, Erasmus, Schuld gab; er thäte der lateinischen Litteratur Abbruch -- Dieser Vorwurf bringt ihm keine Schande, und man darf ihn also nicht wider die Geschichte läugnen: denn lateinische Religion, schola-
stische
B 4
giomontans u. ſ. w. was waren ſie? Philo- logen, die in Jtalien meiſtens gezogen, latei- niſch dachten, und die Wiſſenſchaften, die ſich zur neuen Form gebaren, mit lateiniſchem Waſſer tauften. Die lateiniſche Form hat ſich von dieſem zarten Alter an ſehr erhalten: der Zuſchnitt der Gelehrſamkeit, die Stiftung und Einrichtung der Akade- mien, die Zunftgeſezze der Litteratur, die Schulen und die Bildung im Ganzen ward Roͤmiſch — und iſt es noch.
Jn Deutſchland hat Luther in dieſem Ge- ſichtspunkt unendlich Verdienſt. Er iſts, der die deutſche Sprache, einen ſchlafenden Rie- ſen, aufgewecket, und losgebunden: er iſts, der die ſcholaſtiſche Wortkraͤmerei, wie jene Wechſelertiſche, verſchuͤttet: er hat durch ſeine Reformation eine ganze Nation zum Denken und Gefuͤhl erhoben. Laß es alſo ſeyn, daß ihm der feinſte Pedant, den vielleicht die Welt geſehen, Eraſmus, Schuld gab; er thaͤte der lateiniſchen Litteratur Abbruch — Dieſer Vorwurf bringt ihm keine Schande, und man darf ihn alſo nicht wider die Geſchichte laͤugnen: denn lateiniſche Religion, ſchola-
ſtiſche
B 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0031"n="23"/><hirendition="#fr">giomontans</hi> u. ſ. w. was waren ſie? Philo-<lb/>
logen, die in Jtalien meiſtens gezogen, latei-<lb/>
niſch dachten, und die Wiſſenſchaften, die<lb/>ſich zur neuen Form gebaren, mit lateiniſchem<lb/>
Waſſer tauften. Die lateiniſche Form hat<lb/>ſich von dieſem zarten Alter an ſehr erhalten:<lb/>
der <hirendition="#fr">Zuſchnitt der Gelehrſamkeit, die<lb/>
Stiftung und Einrichtung der Akade-<lb/>
mien, die Zunftgeſezze der Litteratur, die<lb/>
Schulen und die Bildung im Ganzen</hi><lb/>
ward <hirendition="#fr">Roͤmiſch</hi>— und iſt es noch.</p><lb/><p>Jn <hirendition="#fr">Deutſchland</hi> hat Luther in dieſem Ge-<lb/>ſichtspunkt unendlich Verdienſt. Er iſts, der<lb/>
die deutſche Sprache, einen ſchlafenden Rie-<lb/>ſen, aufgewecket, und losgebunden: er iſts,<lb/>
der die ſcholaſtiſche Wortkraͤmerei, wie jene<lb/>
Wechſelertiſche, verſchuͤttet: er hat durch ſeine<lb/>
Reformation eine ganze Nation zum Denken<lb/>
und Gefuͤhl erhoben. Laß es alſo ſeyn, daß<lb/>
ihm der feinſte Pedant, den vielleicht die Welt<lb/>
geſehen, <hirendition="#fr">Eraſmus,</hi> Schuld gab; er thaͤte<lb/>
der lateiniſchen Litteratur Abbruch — Dieſer<lb/>
Vorwurf bringt ihm keine Schande, und<lb/>
man darf ihn alſo nicht wider die Geſchichte<lb/>
laͤugnen: denn lateiniſche Religion, ſchola-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">B 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">ſtiſche</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[23/0031]
giomontans u. ſ. w. was waren ſie? Philo-
logen, die in Jtalien meiſtens gezogen, latei-
niſch dachten, und die Wiſſenſchaften, die
ſich zur neuen Form gebaren, mit lateiniſchem
Waſſer tauften. Die lateiniſche Form hat
ſich von dieſem zarten Alter an ſehr erhalten:
der Zuſchnitt der Gelehrſamkeit, die
Stiftung und Einrichtung der Akade-
mien, die Zunftgeſezze der Litteratur, die
Schulen und die Bildung im Ganzen
ward Roͤmiſch — und iſt es noch.
Jn Deutſchland hat Luther in dieſem Ge-
ſichtspunkt unendlich Verdienſt. Er iſts, der
die deutſche Sprache, einen ſchlafenden Rie-
ſen, aufgewecket, und losgebunden: er iſts,
der die ſcholaſtiſche Wortkraͤmerei, wie jene
Wechſelertiſche, verſchuͤttet: er hat durch ſeine
Reformation eine ganze Nation zum Denken
und Gefuͤhl erhoben. Laß es alſo ſeyn, daß
ihm der feinſte Pedant, den vielleicht die Welt
geſehen, Eraſmus, Schuld gab; er thaͤte
der lateiniſchen Litteratur Abbruch — Dieſer
Vorwurf bringt ihm keine Schande, und
man darf ihn alſo nicht wider die Geſchichte
laͤugnen: denn lateiniſche Religion, ſchola-
ſtiſche
B 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/31>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.