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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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er in der Sammlung alter Reisebeschrei-
bungen,
als ein reisender Schulmeister in
Paragraphen übersezzt ist. Und doch ist der
Wertheimer in seiner Vorrede ein wirkliches
Muster der Schreibart: was soll man nun
sagen, wenn man Dammische Uebersezzun-
gen, oder Akademische Paraphrasen lieset --
ich rede hier blos von der Schreibart nach
ihrer innern Stärke.

Die Litt. Br. führten aus Lohenstein *
ein Muster des Prosaischen Styls an: wir
könnten aus vielen Schriftstellern der vorigen
Jahrhunderte noch mehr Beispiele geben, daß
der gute körnichte Vortrag nicht so fremde
gewesen, als man meynt. Die deutsche
Sprache aber kroch meistens unter akademi-
schen oder homiletischen Fesseln: sie hatte
keinen Glanz, keine Reinigkeit, aber innere
Stärke mangelte ihr nicht. Der ganze
Schade war: man sahe sie als keine gelehrte
Sprache an, denn dazu war allein die Latei-
nische gekrönt: man achtete sie blos als die
Sprache des gemeinen Volks, und unterließ

ihre
* Litt. Br. Th. 21. p. 139.

er in der Sammlung alter Reiſebeſchrei-
bungen,
als ein reiſender Schulmeiſter in
Paragraphen uͤberſezzt iſt. Und doch iſt der
Wertheimer in ſeiner Vorrede ein wirkliches
Muſter der Schreibart: was ſoll man nun
ſagen, wenn man Dammiſche Ueberſezzun-
gen, oder Akademiſche Paraphraſen lieſet —
ich rede hier blos von der Schreibart nach
ihrer innern Staͤrke.

Die Litt. Br. fuͤhrten aus Lohenſtein *
ein Muſter des Proſaiſchen Styls an: wir
koͤnnten aus vielen Schriftſtellern der vorigen
Jahrhunderte noch mehr Beiſpiele geben, daß
der gute koͤrnichte Vortrag nicht ſo fremde
geweſen, als man meynt. Die deutſche
Sprache aber kroch meiſtens unter akademi-
ſchen oder homiletiſchen Feſſeln: ſie hatte
keinen Glanz, keine Reinigkeit, aber innere
Staͤrke mangelte ihr nicht. Der ganze
Schade war: man ſahe ſie als keine gelehrte
Sprache an, denn dazu war allein die Latei-
niſche gekroͤnt: man achtete ſie blos als die
Sprache des gemeinen Volks, und unterließ

ihre
* Litt. Br. Th. 21. p. 139.
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[26/0034] er in der Sammlung alter Reiſebeſchrei- bungen, als ein reiſender Schulmeiſter in Paragraphen uͤberſezzt iſt. Und doch iſt der Wertheimer in ſeiner Vorrede ein wirkliches Muſter der Schreibart: was ſoll man nun ſagen, wenn man Dammiſche Ueberſezzun- gen, oder Akademiſche Paraphraſen lieſet — ich rede hier blos von der Schreibart nach ihrer innern Staͤrke. Die Litt. Br. fuͤhrten aus Lohenſtein * ein Muſter des Proſaiſchen Styls an: wir koͤnnten aus vielen Schriftſtellern der vorigen Jahrhunderte noch mehr Beiſpiele geben, daß der gute koͤrnichte Vortrag nicht ſo fremde geweſen, als man meynt. Die deutſche Sprache aber kroch meiſtens unter akademi- ſchen oder homiletiſchen Feſſeln: ſie hatte keinen Glanz, keine Reinigkeit, aber innere Staͤrke mangelte ihr nicht. Der ganze Schade war: man ſahe ſie als keine gelehrte Sprache an, denn dazu war allein die Latei- niſche gekroͤnt: man achtete ſie blos als die Sprache des gemeinen Volks, und unterließ ihre * Litt. Br. Th. 21. p. 139.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/34>, abgerufen am 21.11.2024.