ihre Cultur. Wer dies Jahrhundert kennet, wird mir Recht geben, daß blos die lateini- sche Sprache die unsrige zurückgehalten, weil man bei den gelehrten Zänkereyen, die mit zum herrschenden Ton des Ganzen gehören, theils der scholastischen Handwerkssprache, theils der schönen lateinischen Sprache nöthig hatte. Man gehe die besten Schriftsteller dieser Zeit durch: entweder Römisch- oder Akademisch Latein ist ihre Mundart: die Muttersprache ward als eine Mundart der Mütter, der Weiber und der Ungelehrten angesehen. Jsts nicht eine wahre Schande dieser Zeit, daß es große und schönlateini- sche Schriftsteller dieser Zeit gibt, die in ihrer Sprache Barbarn waren, daß es Masore- then der Prisciane gab, die jede deutsche Zeile lächerlich machte, die die Prosodie Anakreons verbesserten, und ihre Sprache in Schlacken ließen: Deutsche Römer, die der genius seculi in seiner genealogia criticorum so ziemlich herzälet.
Endlich fing man an, beschämt von den Nachbarn ringsumher, die Sprache zu bes- sern, -- aber wie? -- als eine gelehrte
Spra-
ihre Cultur. Wer dies Jahrhundert kennet, wird mir Recht geben, daß blos die lateini- ſche Sprache die unſrige zuruͤckgehalten, weil man bei den gelehrten Zaͤnkereyen, die mit zum herrſchenden Ton des Ganzen gehoͤren, theils der ſcholaſtiſchen Handwerksſprache, theils der ſchoͤnen lateiniſchen Sprache noͤthig hatte. Man gehe die beſten Schriftſteller dieſer Zeit durch: entweder Roͤmiſch- oder Akademiſch Latein iſt ihre Mundart: die Mutterſprache ward als eine Mundart der Muͤtter, der Weiber und der Ungelehrten angeſehen. Jſts nicht eine wahre Schande dieſer Zeit, daß es große und ſchoͤnlateini- ſche Schriftſteller dieſer Zeit gibt, die in ihrer Sprache Barbarn waren, daß es Maſore- then der Priſciane gab, die jede deutſche Zeile laͤcherlich machte, die die Proſodie Anakreons verbeſſerten, und ihre Sprache in Schlacken ließen: Deutſche Roͤmer, die der genius ſeculi in ſeiner genealogia criticorum ſo ziemlich herzaͤlet.
Endlich fing man an, beſchaͤmt von den Nachbarn ringsumher, die Sprache zu beſ- ſern, — aber wie? — als eine gelehrte
Spra-
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ihre Cultur. Wer dies Jahrhundert kennet,
wird mir Recht geben, daß blos die lateini-
ſche Sprache die unſrige zuruͤckgehalten, weil
man bei den gelehrten Zaͤnkereyen, die mit
zum herrſchenden Ton des Ganzen gehoͤren,
theils der ſcholaſtiſchen Handwerksſprache,
theils der ſchoͤnen lateiniſchen Sprache noͤthig
hatte. Man gehe die beſten Schriftſteller
dieſer Zeit durch: entweder Roͤmiſch- oder
Akademiſch Latein iſt ihre Mundart: die
Mutterſprache ward als eine Mundart der
Muͤtter, der Weiber und der Ungelehrten
angeſehen. Jſts nicht eine wahre Schande
dieſer Zeit, daß es große und ſchoͤnlateini-
ſche Schriftſteller dieſer Zeit gibt, die in ihrer
Sprache Barbarn waren, daß es Maſore-
then der Priſciane gab, die jede deutſche Zeile
laͤcherlich machte, die die Proſodie Anakreons
verbeſſerten, und ihre Sprache in Schlacken
ließen: Deutſche Roͤmer, die der genius
ſeculi in ſeiner genealogia criticorum ſo
ziemlich herzaͤlet.
Endlich fing man an, beſchaͤmt von den
Nachbarn ringsumher, die Sprache zu beſ-
ſern, — aber wie? — als eine gelehrte
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/35>, abgerufen am 09.11.2024.
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