durch die lateinische Sprache gelitten, und ihren Charakter verloren? --
3.
Aber man blicke etwas weiter: wenn die lateinische Sprache, es sey die mittlere, oder alte sogar unsre Bildung fesselt, statt sie zu erheben; ja dieselbe Jahrhunderte durch ge- fesselt hat: sollte denn der Schade unbedeu- tend seyn?
So bald man es zu einem letzten Zweck macht, Lateinisch zu lernen; und diese an sich so angenehme und nützliche Sprache nicht blos als Mittel gebraucht, um durch sie Geschichte zu lernen, in den Geist großer Männer zu blicken, und gleichsam das ganze Gebiet einer ausgebildeten vortreflichen Spra- che sich zu eigen zu machen: so wird den Mu- sen Latiums zu viel Raum in den Schulen, und zu viel Antheil an der Erziehung gelas- sen. Jch dehne dies bis auf einzelne Stücke aus: so bald die Erklärung eines Autors, oder der Autor selbst, der Jugend nichts als
Worte
C 2
durch die lateiniſche Sprache gelitten, und ihren Charakter verloren? —
3.
Aber man blicke etwas weiter: wenn die lateiniſche Sprache, es ſey die mittlere, oder alte ſogar unſre Bildung feſſelt, ſtatt ſie zu erheben; ja dieſelbe Jahrhunderte durch ge- feſſelt hat: ſollte denn der Schade unbedeu- tend ſeyn?
So bald man es zu einem letzten Zweck macht, Lateiniſch zu lernen; und dieſe an ſich ſo angenehme und nuͤtzliche Sprache nicht blos als Mittel gebraucht, um durch ſie Geſchichte zu lernen, in den Geiſt großer Maͤnner zu blicken, und gleichſam das ganze Gebiet einer ausgebildeten vortreflichen Spra- che ſich zu eigen zu machen: ſo wird den Mu- ſen Latiums zu viel Raum in den Schulen, und zu viel Antheil an der Erziehung gelaſ- ſen. Jch dehne dies bis auf einzelne Stuͤcke aus: ſo bald die Erklaͤrung eines Autors, oder der Autor ſelbſt, der Jugend nichts als
Worte
C 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0043"n="35"/>
durch die lateiniſche Sprache gelitten, und<lb/>
ihren Charakter verloren? —</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="5"><head><hirendition="#b">3.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">A</hi>ber man blicke etwas weiter: wenn die<lb/>
lateiniſche Sprache, es ſey die mittlere, oder<lb/>
alte ſogar <hirendition="#fr">unſre Bildung</hi> feſſelt, ſtatt ſie zu<lb/>
erheben; ja dieſelbe Jahrhunderte durch ge-<lb/>
feſſelt hat: ſollte denn <hirendition="#fr">der</hi> Schade unbedeu-<lb/>
tend ſeyn?</p><lb/><p>So bald man es zu einem letzten <hirendition="#fr">Zweck</hi><lb/>
macht, Lateiniſch zu lernen; und dieſe an ſich<lb/>ſo angenehme und nuͤtzliche Sprache nicht<lb/>
blos als <hirendition="#fr">Mittel</hi> gebraucht, um durch ſie<lb/><hirendition="#fr">Geſchichte</hi> zu lernen, in den Geiſt großer<lb/>
Maͤnner zu blicken, und gleichſam das ganze<lb/>
Gebiet einer ausgebildeten vortreflichen Spra-<lb/>
che ſich zu eigen zu machen: ſo wird den Mu-<lb/>ſen <hirendition="#fr">Latiums</hi> zu viel Raum in den Schulen,<lb/>
und zu viel Antheil an der Erziehung gelaſ-<lb/>ſen. Jch dehne dies bis auf einzelne Stuͤcke<lb/>
aus: ſo bald die Erklaͤrung eines Autors,<lb/>
oder der Autor ſelbſt, der Jugend nichts als<lb/><fwplace="bottom"type="sig">C 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">Worte</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[35/0043]
durch die lateiniſche Sprache gelitten, und
ihren Charakter verloren? —
3.
Aber man blicke etwas weiter: wenn die
lateiniſche Sprache, es ſey die mittlere, oder
alte ſogar unſre Bildung feſſelt, ſtatt ſie zu
erheben; ja dieſelbe Jahrhunderte durch ge-
feſſelt hat: ſollte denn der Schade unbedeu-
tend ſeyn?
So bald man es zu einem letzten Zweck
macht, Lateiniſch zu lernen; und dieſe an ſich
ſo angenehme und nuͤtzliche Sprache nicht
blos als Mittel gebraucht, um durch ſie
Geſchichte zu lernen, in den Geiſt großer
Maͤnner zu blicken, und gleichſam das ganze
Gebiet einer ausgebildeten vortreflichen Spra-
che ſich zu eigen zu machen: ſo wird den Mu-
ſen Latiums zu viel Raum in den Schulen,
und zu viel Antheil an der Erziehung gelaſ-
ſen. Jch dehne dies bis auf einzelne Stuͤcke
aus: ſo bald die Erklaͤrung eines Autors,
oder der Autor ſelbſt, der Jugend nichts als
Worte
C 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/43>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.