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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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betrachte diesen geplünderten Alten als einen
Neuern und Fremden: so wird man das
Zwangvolle sehen. Und stünde der Alte selbst
auf, lernte uns kennen, und sähe denn die
Heerde Nachahmer, die sich um seine Urne
drängen: -- über Gewaltthätigkeit, lüber
Straßenraub würde er schreyen, und das ser-
vum pecus
von seiner Asche vertreiben.



4.

Meine Meinung von der deutsch-lateinischen
Erziehung überhaupt habe ich gesagt: daß
ein lateinischer Geist in den Kern der Wis-
senschaften
eingedrungen, läßt sich, wie ich
glaube, von selbst einsehen. Man durchgehe
die Lehrbücher der meisten Weltweisheiten:
man wird eine wissenschaftliche Sprache fin-
den, in welche die Begriffe verwebt sind.

Ganze Jahrhunderte durch war die latei-
nische Sprache das einzige vehiculum der
Aristotelisch-Scholastischen Philosophie: man
hat sie als das allgemeine Band der Gelehr-
ten in allen Ländern Europens angesehen; sie

hat

betrachte dieſen gepluͤnderten Alten als einen
Neuern und Fremden: ſo wird man das
Zwangvolle ſehen. Und ſtuͤnde der Alte ſelbſt
auf, lernte uns kennen, und ſaͤhe denn die
Heerde Nachahmer, die ſich um ſeine Urne
draͤngen: — uͤber Gewaltthaͤtigkeit, luͤber
Straßenraub wuͤrde er ſchreyen, und das ſer-
vum pecus
von ſeiner Aſche vertreiben.



4.

Meine Meinung von der deutſch-lateiniſchen
Erziehung uͤberhaupt habe ich geſagt: daß
ein lateiniſcher Geiſt in den Kern der Wiſ-
ſenſchaften
eingedrungen, laͤßt ſich, wie ich
glaube, von ſelbſt einſehen. Man durchgehe
die Lehrbuͤcher der meiſten Weltweisheiten:
man wird eine wiſſenſchaftliche Sprache fin-
den, in welche die Begriffe verwebt ſind.

Ganze Jahrhunderte durch war die latei-
niſche Sprache das einzige vehiculum der
Ariſtoteliſch-Scholaſtiſchen Philoſophie: man
hat ſie als das allgemeine Band der Gelehr-
ten in allen Laͤndern Europens angeſehen; ſie

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[46/0054] betrachte dieſen gepluͤnderten Alten als einen Neuern und Fremden: ſo wird man das Zwangvolle ſehen. Und ſtuͤnde der Alte ſelbſt auf, lernte uns kennen, und ſaͤhe denn die Heerde Nachahmer, die ſich um ſeine Urne draͤngen: — uͤber Gewaltthaͤtigkeit, luͤber Straßenraub wuͤrde er ſchreyen, und das ſer- vum pecus von ſeiner Aſche vertreiben. 4. Meine Meinung von der deutſch-lateiniſchen Erziehung uͤberhaupt habe ich geſagt: daß ein lateiniſcher Geiſt in den Kern der Wiſ- ſenſchaften eingedrungen, laͤßt ſich, wie ich glaube, von ſelbſt einſehen. Man durchgehe die Lehrbuͤcher der meiſten Weltweisheiten: man wird eine wiſſenſchaftliche Sprache fin- den, in welche die Begriffe verwebt ſind. Ganze Jahrhunderte durch war die latei- niſche Sprache das einzige vehiculum der Ariſtoteliſch-Scholaſtiſchen Philoſophie: man hat ſie als das allgemeine Band der Gelehr- ten in allen Laͤndern Europens angeſehen; ſie hat

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/54>, abgerufen am 24.11.2024.