paaren. Wer kann sich in der Sprache des gemeinen Lebens über alle Gegenstände, mit denen er durch die Erziehung familiär gewor- den ist, geläufiger und triftiger ausdrücken, als der gemeine Mann von gutem gesunden Verstande? Aber nun versucht bei ihm den Gedanken vom Ausdruck zu sondern: ihr verstehet das Wort nicht, er soll euch seinen Begriff durch andre Worte erklären (ich meine nicht sinnliche Zeichen) so ist für ihn keine größere Mühe in der Welt; und für euch wirds ein lächerlicher Auftritt seyn, ei- nen Worterklärenden Bauer zu sehen: seine Seele und seine Sprache sind zwo Schwe- stern, in Gesellschaft erzogen, zu einander ge- wöhnt, und unabtrennbarer, als Julie und Clare, für den philosophirenden St. Preux, wenn er mit der einen allein buhlen wollte.
Drittens! die feinere Sprache des Um- ganges macht zwar die Zunge freier, und bin- det sie mehr vom Gedanken los (ich meine hier nicht Moralisch, sondern Psychologisch), dadurch, daß sie sich zum Vernünfteln bildet. Jn dem großen Reichthume von Ausdrücken über "die Vorfallenheiten des Lebens, über
"Din-
paaren. Wer kann ſich in der Sprache des gemeinen Lebens uͤber alle Gegenſtaͤnde, mit denen er durch die Erziehung familiaͤr gewor- den iſt, gelaͤufiger und triftiger ausdruͤcken, als der gemeine Mann von gutem geſunden Verſtande? Aber nun verſucht bei ihm den Gedanken vom Ausdruck zu ſondern: ihr verſtehet das Wort nicht, er ſoll euch ſeinen Begriff durch andre Worte erklaͤren (ich meine nicht ſinnliche Zeichen) ſo iſt fuͤr ihn keine groͤßere Muͤhe in der Welt; und fuͤr euch wirds ein laͤcherlicher Auftritt ſeyn, ei- nen Worterklaͤrenden Bauer zu ſehen: ſeine Seele und ſeine Sprache ſind zwo Schwe- ſtern, in Geſellſchaft erzogen, zu einander ge- woͤhnt, und unabtrennbarer, als Julie und Clare, fuͤr den philoſophirenden St. Preux, wenn er mit der einen allein buhlen wollte.
Drittens! die feinere Sprache des Um- ganges macht zwar die Zunge freier, und bin- det ſie mehr vom Gedanken los (ich meine hier nicht Moraliſch, ſondern Pſychologiſch), dadurch, daß ſie ſich zum Vernuͤnfteln bildet. Jn dem großen Reichthume von Ausdruͤcken uͤber „die Vorfallenheiten des Lebens, uͤber
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Verſtande? Aber nun verſucht bei ihm den
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meine nicht ſinnliche Zeichen) ſo iſt fuͤr ihn
keine groͤßere Muͤhe in der Welt; und fuͤr
euch wirds ein laͤcherlicher Auftritt ſeyn, ei-
nen Worterklaͤrenden Bauer zu ſehen: ſeine
Seele und ſeine Sprache ſind zwo Schwe-
ſtern, in Geſellſchaft erzogen, zu einander ge-
woͤhnt, und unabtrennbarer, als Julie und
Clare, fuͤr den philoſophirenden St. Preux,
wenn er mit der einen allein buhlen wollte.
Drittens! die feinere Sprache des Um-
ganges macht zwar die Zunge freier, und bin-
det ſie mehr vom Gedanken los (ich meine
hier nicht Moraliſch, ſondern Pſychologiſch),
dadurch, daß ſie ſich zum Vernuͤnfteln bildet.
Jn dem großen Reichthume von Ausdruͤcken
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/60>, abgerufen am 25.11.2024.
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