verständlich und schön, aber nicht gelehrt und abgezirkelt zu sprechen.
Man erlaube mir hier ein Wort dazwi- schen von dieser sinnlichen Sprache: Der Weltweise darf auf sie nicht schimpfen, und mit hoher Mine einen Zaun zwischen der ge- meinen, ästhetischen und gelehrten* Spra- che machen: drei Wörter, die für mich im- mer unbegreiflich gewesen, wenn man sie ne- ben einander stellet. Sie laufen in einan- der, ihre Zirkel durchschneiden sich, und sie haben ganz und gar nicht einen gemeinschaft- lichen Mittelpunkt: jede ihren Zweck, jede ihre ausschließende Schönheiten und Fehler: die Sprache des gemeinen Lebens die ihrige: die philosophische Sprache die ihrige: die höchste Dichtersprache die ihrige. Sich also einen Ton auf Kosten eines ganz unschuldigen Fremdlinges geben, der unter eine andere Obrigkeit gehöret, ist widerrechtlich: und ein gelehrtes Gehege ziehen, worinn blos eine ge- lehrte Sprache gilt, die nach lateinischen Aus- drücken deutsch gemodelt ist, wird oft lächer-
lich.
* s. Meiers gelehrte Sprache Litt. Br. Th. 17. p. 111.
verſtaͤndlich und ſchoͤn, aber nicht gelehrt und abgezirkelt zu ſprechen.
Man erlaube mir hier ein Wort dazwi- ſchen von dieſer ſinnlichen Sprache: Der Weltweiſe darf auf ſie nicht ſchimpfen, und mit hoher Mine einen Zaun zwiſchen der ge- meinen, aͤſthetiſchen und gelehrten* Spra- che machen: drei Woͤrter, die fuͤr mich im- mer unbegreiflich geweſen, wenn man ſie ne- ben einander ſtellet. Sie laufen in einan- der, ihre Zirkel durchſchneiden ſich, und ſie haben ganz und gar nicht einen gemeinſchaft- lichen Mittelpunkt: jede ihren Zweck, jede ihre ausſchließende Schoͤnheiten und Fehler: die Sprache des gemeinen Lebens die ihrige: die philoſophiſche Sprache die ihrige: die hoͤchſte Dichterſprache die ihrige. Sich alſo einen Ton auf Koſten eines ganz unſchuldigen Fremdlinges geben, der unter eine andere Obrigkeit gehoͤret, iſt widerrechtlich: und ein gelehrtes Gehege ziehen, worinn blos eine ge- lehrte Sprache gilt, die nach lateiniſchen Aus- druͤcken deutſch gemodelt iſt, wird oft laͤcher-
lich.
* ſ. Meiers gelehrte Sprache Litt. Br. Th. 17. p. 111.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0062"n="54"/><hirendition="#fr">verſtaͤndlich</hi> und <hirendition="#fr">ſchoͤn,</hi> aber nicht <hirendition="#fr">gelehrt</hi><lb/>
und <hirendition="#fr">abgezirkelt</hi> zu ſprechen.</p><lb/><p>Man erlaube mir hier ein Wort dazwi-<lb/>ſchen von dieſer <hirendition="#fr">ſinnlichen</hi> Sprache: Der<lb/>
Weltweiſe darf auf ſie nicht ſchimpfen, und<lb/>
mit hoher Mine einen Zaun zwiſchen der <hirendition="#fr">ge-<lb/>
meinen, aͤſthetiſchen</hi> und <hirendition="#fr">gelehrten</hi><noteplace="foot"n="*">ſ. Meiers gelehrte Sprache Litt. Br. Th. 17.<lb/>
p. 111.</note> Spra-<lb/>
che machen: drei Woͤrter, die fuͤr mich im-<lb/>
mer unbegreiflich geweſen, wenn man ſie <hirendition="#fr">ne-<lb/>
ben</hi> einander ſtellet. Sie laufen in einan-<lb/>
der, ihre Zirkel durchſchneiden ſich, und ſie<lb/>
haben ganz und gar nicht einen gemeinſchaft-<lb/>
lichen Mittelpunkt: jede ihren Zweck, jede<lb/>
ihre ausſchließende Schoͤnheiten und Fehler:<lb/>
die Sprache des gemeinen Lebens die ihrige:<lb/>
die philoſophiſche Sprache die ihrige: die<lb/>
hoͤchſte Dichterſprache die ihrige. Sich alſo<lb/>
einen Ton auf Koſten eines ganz unſchuldigen<lb/>
Fremdlinges geben, der unter eine andere<lb/>
Obrigkeit gehoͤret, iſt widerrechtlich: und ein<lb/>
gelehrtes Gehege ziehen, worinn blos eine ge-<lb/>
lehrte Sprache gilt, die nach lateiniſchen Aus-<lb/>
druͤcken deutſch gemodelt iſt, wird oft laͤcher-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">lich.</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[54/0062]
verſtaͤndlich und ſchoͤn, aber nicht gelehrt
und abgezirkelt zu ſprechen.
Man erlaube mir hier ein Wort dazwi-
ſchen von dieſer ſinnlichen Sprache: Der
Weltweiſe darf auf ſie nicht ſchimpfen, und
mit hoher Mine einen Zaun zwiſchen der ge-
meinen, aͤſthetiſchen und gelehrten * Spra-
che machen: drei Woͤrter, die fuͤr mich im-
mer unbegreiflich geweſen, wenn man ſie ne-
ben einander ſtellet. Sie laufen in einan-
der, ihre Zirkel durchſchneiden ſich, und ſie
haben ganz und gar nicht einen gemeinſchaft-
lichen Mittelpunkt: jede ihren Zweck, jede
ihre ausſchließende Schoͤnheiten und Fehler:
die Sprache des gemeinen Lebens die ihrige:
die philoſophiſche Sprache die ihrige: die
hoͤchſte Dichterſprache die ihrige. Sich alſo
einen Ton auf Koſten eines ganz unſchuldigen
Fremdlinges geben, der unter eine andere
Obrigkeit gehoͤret, iſt widerrechtlich: und ein
gelehrtes Gehege ziehen, worinn blos eine ge-
lehrte Sprache gilt, die nach lateiniſchen Aus-
druͤcken deutſch gemodelt iſt, wird oft laͤcher-
lich.
* ſ. Meiers gelehrte Sprache Litt. Br. Th. 17.
p. 111.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/62>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.