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[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.

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machen können, daß die Silhouette als Buste
da steht, daß sie lebe. Da dies aber so schwer ist,
da die Silhouetten so schrecklich untreu, nachläßig
und unwissend gezeichnet werden, da nicht jedes
Gesicht im Profil gleich redend ist, um eine gute
Silhouette, d. i. gnug Glieder der Verhältniß
zu geben, aus denen die ganze lebende Form er-
helle, da eine bestochene, fliegende oder feindselige
Phantasie im schwarzen oder weißen Fleck eines
Schattenbildes eben so viel Spielraum findet, al-
les hinein zu schreiben, was ihr gefället; so ist
wohl nächst Gott und dem Gelde im letzten Lu-
strum unsers Jahrhunderts nichts, womit so viel
Mißbrauch, Abgötterei, Verläumdung, Betrug
und Thorheit gespielt wird, als mit den Schat-
tenbildern Menschlicher Köpfe. Der erste Ver-
such der Mahlerei, den ein liebendes Mädchen
machte und der ewig nur liebhabenden Augen und
Händen überlassen seyn sollte, die Silhouette ist
jetzt den sieben Söhnen Sceva's Preis gegeben, die
alle den Teufel haben, und (wie sie sagen, Lavatern
nach
, das ist, ganz ohne seinen Blick, Geist und
Herz) aus Silhouetten weissagen und richten l). --
Gebt mir ein, auch nur leidlich treues leibhaftes
Kopf- und Brustbild, so todt es übrigens sei
(denn es ist nur die Larve vom Todten), auch nur
die merkbarsten Scherben davon, und meine lang-

same
l) Apostg. 19, 13-16.

machen koͤnnen, daß die Silhouette als Buſte
da ſteht, daß ſie lebe. Da dies aber ſo ſchwer iſt,
da die Silhouetten ſo ſchrecklich untreu, nachlaͤßig
und unwiſſend gezeichnet werden, da nicht jedes
Geſicht im Profil gleich redend iſt, um eine gute
Silhouette, d. i. gnug Glieder der Verhaͤltniß
zu geben, aus denen die ganze lebende Form er-
helle, da eine beſtochene, fliegende oder feindſelige
Phantaſie im ſchwarzen oder weißen Fleck eines
Schattenbildes eben ſo viel Spielraum findet, al-
les hinein zu ſchreiben, was ihr gefaͤllet; ſo iſt
wohl naͤchſt Gott und dem Gelde im letzten Lu-
ſtrum unſers Jahrhunderts nichts, womit ſo viel
Mißbrauch, Abgoͤtterei, Verlaͤumdung, Betrug
und Thorheit geſpielt wird, als mit den Schat-
tenbildern Menſchlicher Koͤpfe. Der erſte Ver-
ſuch der Mahlerei, den ein liebendes Maͤdchen
machte und der ewig nur liebhabenden Augen und
Haͤnden uͤberlaſſen ſeyn ſollte, die Silhouette iſt
jetzt den ſieben Soͤhnen Sceva’s Preis gegeben, die
alle den Teufel haben, und (wie ſie ſagen, Lavatern
nach
, das iſt, ganz ohne ſeinen Blick, Geiſt und
Herz) aus Silhouetten weiſſagen und richten l). —
Gebt mir ein, auch nur leidlich treues leibhaftes
Kopf- und Bruſtbild, ſo todt es uͤbrigens ſei
(denn es iſt nur die Larve vom Todten), auch nur
die merkbarſten Scherben davon, und meine lang-

ſame
l) Apoſtg. 19, 13-16.
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[66/0069] machen koͤnnen, daß die Silhouette als Buſte da ſteht, daß ſie lebe. Da dies aber ſo ſchwer iſt, da die Silhouetten ſo ſchrecklich untreu, nachlaͤßig und unwiſſend gezeichnet werden, da nicht jedes Geſicht im Profil gleich redend iſt, um eine gute Silhouette, d. i. gnug Glieder der Verhaͤltniß zu geben, aus denen die ganze lebende Form er- helle, da eine beſtochene, fliegende oder feindſelige Phantaſie im ſchwarzen oder weißen Fleck eines Schattenbildes eben ſo viel Spielraum findet, al- les hinein zu ſchreiben, was ihr gefaͤllet; ſo iſt wohl naͤchſt Gott und dem Gelde im letzten Lu- ſtrum unſers Jahrhunderts nichts, womit ſo viel Mißbrauch, Abgoͤtterei, Verlaͤumdung, Betrug und Thorheit geſpielt wird, als mit den Schat- tenbildern Menſchlicher Koͤpfe. Der erſte Ver- ſuch der Mahlerei, den ein liebendes Maͤdchen machte und der ewig nur liebhabenden Augen und Haͤnden uͤberlaſſen ſeyn ſollte, die Silhouette iſt jetzt den ſieben Soͤhnen Sceva’s Preis gegeben, die alle den Teufel haben, und (wie ſie ſagen, Lavatern nach, das iſt, ganz ohne ſeinen Blick, Geiſt und Herz) aus Silhouetten weiſſagen und richten l). — Gebt mir ein, auch nur leidlich treues leibhaftes Kopf- und Bruſtbild, ſo todt es uͤbrigens ſei (denn es iſt nur die Larve vom Todten), auch nur die merkbarſten Scherben davon, und meine lang- ſame l) Apoſtg. 19, 13-16.

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/69>, abgerufen am 24.11.2024.