[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.dachung, die auf dem Schindeldach gen Him- weder
dachung, die auf dem Schindeldach gen Him- weder
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0078" n="75"/> dachung, die auf dem Schindeldach gen Him-<lb/> mel ſteigt und der es nie an Syſtem mangelt.<lb/> Oder endlich jene hohe Furchen Cronions oder<lb/> Cronus, die Sorgenvoll uns oft zu Wolken<lb/> heben, ohne zu wiſſen, was wir da thun und<lb/> treiben ſollen. Oder endlich jene υλη, jenes <hi rendition="#aq">re-<lb/> pertorium univerſale,</hi> das ſich meiſtentheils ſelbſt<lb/> nicht findet. Jch liebe mir die jugendliche Grie-<lb/> chiſche Stirn, die den Himmel niederdruͤckt und<lb/> ihn nicht ins Unermaͤßliche woͤlber. So wie der<lb/> lieben Kindheit der Schleier der Haare uͤber die<lb/> Stirn faͤllt, daß dahinter der Saame des Le-<lb/> bens in Zucht und Friede und ſeliger Dumpfheit<lb/> wachſe: ſo gehoͤrte ein <hi rendition="#fr">Bernini</hi> dazu, die <hi rendition="#aq">per-<lb/> frictam frontem</hi> wieder hervorzubringen und<lb/> auch den Statuen den Scheitel wegzureißen, der<lb/> ja uns freilich minder als die ſeligen Goͤtter klei-<lb/> det. Seit es den Klugen der Welt oft ſelbſt<lb/> an Licht fehlt, haben ſie den Brettdurchbohren-<lb/> den Blick noͤthig, es von der Stirn andrer zu<lb/> leſen, die vielleicht gerade fuͤr ſie kein Licht ha-<lb/> ben, und ſo hat ſich rechts und links die aufge-<lb/> ſtriegelte glatte Mode tief hinunter verbreitet.<lb/> Wer in einer Jllumination nicht viel Licht hat,<lb/> thut am beſten, wenn er ſein Stuͤmpchen vors<lb/> Fenſter ſtellet oder etwa gar ſein Caminfeuer da-<lb/> hin traͤgt: ſo gehts oft mit dem Licht unſrer<lb/> Stirnen. Sie glaͤnzen, daß man ſich daran<lb/> <fw place="bottom" type="catch">weder</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [75/0078]
dachung, die auf dem Schindeldach gen Him-
mel ſteigt und der es nie an Syſtem mangelt.
Oder endlich jene hohe Furchen Cronions oder
Cronus, die Sorgenvoll uns oft zu Wolken
heben, ohne zu wiſſen, was wir da thun und
treiben ſollen. Oder endlich jene υλη, jenes re-
pertorium univerſale, das ſich meiſtentheils ſelbſt
nicht findet. Jch liebe mir die jugendliche Grie-
chiſche Stirn, die den Himmel niederdruͤckt und
ihn nicht ins Unermaͤßliche woͤlber. So wie der
lieben Kindheit der Schleier der Haare uͤber die
Stirn faͤllt, daß dahinter der Saame des Le-
bens in Zucht und Friede und ſeliger Dumpfheit
wachſe: ſo gehoͤrte ein Bernini dazu, die per-
frictam frontem wieder hervorzubringen und
auch den Statuen den Scheitel wegzureißen, der
ja uns freilich minder als die ſeligen Goͤtter klei-
det. Seit es den Klugen der Welt oft ſelbſt
an Licht fehlt, haben ſie den Brettdurchbohren-
den Blick noͤthig, es von der Stirn andrer zu
leſen, die vielleicht gerade fuͤr ſie kein Licht ha-
ben, und ſo hat ſich rechts und links die aufge-
ſtriegelte glatte Mode tief hinunter verbreitet.
Wer in einer Jllumination nicht viel Licht hat,
thut am beſten, wenn er ſein Stuͤmpchen vors
Fenſter ſtellet oder etwa gar ſein Caminfeuer da-
hin traͤgt: ſo gehts oft mit dem Licht unſrer
Stirnen. Sie glaͤnzen, daß man ſich daran
weder
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