Also weiter. Hat die Natur unsre Mensch- heit nicht zum todten Meer, zum Stillstande ei- ner ewigen Unthätigkeit und Gefühllosen Göt- terruhe, sondern zu einem bewegten, ewig sich regenden Strome voll Kraft und Lebensgeistes machen wollen; so sehen wir, auch von außen konnte ihr Werk keine plastische Larve und Maske einer schönen ewigen Unthätigkeit seyn, sondern Lebenswind muste die Formen beleben. So- fort wird die Schönheit Kraft, Bedeutung in jedem Gliede. Statt des Abstraks in Wolken, das kein Auge gesehn und kein Ohr gehört hat, wird sie auch bey Göttern und Göttinnen Con- cret d. i. Charakter dieses Gottes und keines andern. Jede schöne Form an ihm, wird von dem Lebensgeiste bestimmt, der sein Schif an- wehet und treibet: mithin wird jedes Glied im höchsten Maasse individuell bedeutend. Und nur so fern es also bedeutet, und der Dämon, der Charakter, der Eine Göttliche Lebensgeist ganz und allein in diesem Bilde erscheint, so fern ists der schöne Apollo, die Glorreiche Juno und Aphrodite. Man darf hier abermals we- der in Buchstaben noch in Wolken studiren, son- dern nur seyn und fühlen: Mensch seyn, blind empfinden, wie die Seele in jedem Charakter, in jeder Stellung und Leidenschaft in uns würke,
und
Alſo weiter. Hat die Natur unſre Menſch- heit nicht zum todten Meer, zum Stillſtande ei- ner ewigen Unthaͤtigkeit und Gefuͤhlloſen Goͤt- terruhe, ſondern zu einem bewegten, ewig ſich regenden Strome voll Kraft und Lebensgeiſtes machen wollen; ſo ſehen wir, auch von außen konnte ihr Werk keine plaſtiſche Larve und Maske einer ſchoͤnen ewigen Unthaͤtigkeit ſeyn, ſondern Lebenswind muſte die Formen beleben. So- fort wird die Schoͤnheit Kraft, Bedeutung in jedem Gliede. Statt des Abſtraks in Wolken, das kein Auge geſehn und kein Ohr gehoͤrt hat, wird ſie auch bey Goͤttern und Goͤttinnen Con- cret d. i. Charakter dieſes Gottes und keines andern. Jede ſchoͤne Form an ihm, wird von dem Lebensgeiſte beſtimmt, der ſein Schif an- wehet und treibet: mithin wird jedes Glied im hoͤchſten Maaſſe individuell bedeutend. Und nur ſo fern es alſo bedeutet, und der Daͤmon, der Charakter, der Eine Goͤttliche Lebensgeiſt ganz und allein in dieſem Bilde erſcheint, ſo fern iſts der ſchoͤne Apollo, die Glorreiche Juno und Aphrodite. Man darf hier abermals we- der in Buchſtaben noch in Wolken ſtudiren, ſon- dern nur ſeyn und fuͤhlen: Menſch ſeyn, blind empfinden, wie die Seele in jedem Charakter, in jeder Stellung und Leidenſchaft in uns wuͤrke,
und
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Alſo weiter. Hat die Natur unſre Menſch-
heit nicht zum todten Meer, zum Stillſtande ei-
ner ewigen Unthaͤtigkeit und Gefuͤhlloſen Goͤt-
terruhe, ſondern zu einem bewegten, ewig ſich
regenden Strome voll Kraft und Lebensgeiſtes
machen wollen; ſo ſehen wir, auch von außen
konnte ihr Werk keine plaſtiſche Larve und Maske
einer ſchoͤnen ewigen Unthaͤtigkeit ſeyn, ſondern
Lebenswind muſte die Formen beleben. So-
fort wird die Schoͤnheit Kraft, Bedeutung in
jedem Gliede. Statt des Abſtraks in Wolken,
das kein Auge geſehn und kein Ohr gehoͤrt hat,
wird ſie auch bey Goͤttern und Goͤttinnen Con-
cret d. i. Charakter dieſes Gottes und keines
andern. Jede ſchoͤne Form an ihm, wird von
dem Lebensgeiſte beſtimmt, der ſein Schif an-
wehet und treibet: mithin wird jedes Glied im
hoͤchſten Maaſſe individuell bedeutend. Und
nur ſo fern es alſo bedeutet, und der Daͤmon,
der Charakter, der Eine Goͤttliche Lebensgeiſt
ganz und allein in dieſem Bilde erſcheint, ſo
fern iſts der ſchoͤne Apollo, die Glorreiche Juno
und Aphrodite. Man darf hier abermals we-
der in Buchſtaben noch in Wolken ſtudiren, ſon-
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empfinden, wie die Seele in jedem Charakter, in
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[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/97>, abgerufen am 16.02.2025.
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