Hilty, Carl: Frauenstimmrecht. In: Hilty, Carl (Hg.): Politisches Jahrbuch der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Bern, 1897.Frauenstimmrecht.
schrecken. Es ist auch ohne Zweifel der natürliche Widerwillegegen diese oft recht unnatürlichen Zwitter, der viele der besten Frauen selber noch zur Zeit bewegt, gegen die sogenannte "Frauenemanzipation" im Ganzen und Grossen sich auszu- sprechen, weil ihnen das Wort und die oft sehr lauten Ver- treterinnen dieser Sache gleichmässig zuwider sind. Das Alles sind aber Mängel jeder beginnenden Freiheit. Niemals sind die ersten Vorkämpfer einer Sache fehlerfrei und namentlich nicht übertreibungsfrei; Enthusiasmus, ja Einseitig- keit und Leidenschaftlichkeit gehört zu den menschlichen Eigenschaften, die bei der Erschütterung eines bestehenden Besitzes stark mitzuwirken pflegen, und nirgends mehr als bei allen politischen Emanzipationen gilt das hoch originale Wort des Evangeliums, dass die Todten die Todten begraben müssen und die Ungerechtigkeit in der Welt nicht durch lauter mustergültige Gerechte beseitigt werden kann. Das muss bei jeder Befreiung zuerst geschehen, dann aber, auf einem so geklärten Boden, ist das beste, ja das einzige Erziehungs- mittel zum Gebrauch der Freiheit die Freiheit selbst. Wir halten daher unsererseits dafür, die Rechtsungleichheit Daraus ergiebt sich endlich, dass ohne die Erlangung des Frauenstimmrecht.
schrecken. Es ist auch ohne Zweifel der natürliche Widerwillegegen diese oft recht unnatürlichen Zwitter, der viele der besten Frauen selber noch zur Zeit bewegt, gegen die sogenannte «Frauenemanzipation» im Ganzen und Grossen sich auszu- sprechen, weil ihnen das Wort und die oft sehr lauten Ver- treterinnen dieser Sache gleichmässig zuwider sind. Das Alles sind aber Mängel jeder beginnenden Freiheit. Niemals sind die ersten Vorkämpfer einer Sache fehlerfrei und namentlich nicht übertreibungsfrei; Enthusiasmus, ja Einseitig- keit und Leidenschaftlichkeit gehört zu den menschlichen Eigenschaften, die bei der Erschütterung eines bestehenden Besitzes stark mitzuwirken pflegen, und nirgends mehr als bei allen politischen Emanzipationen gilt das hoch originale Wort des Evangeliums, dass die Todten die Todten begraben müssen und die Ungerechtigkeit in der Welt nicht durch lauter mustergültige Gerechte beseitigt werden kann. Das muss bei jeder Befreiung zuerst geschehen, dann aber, auf einem so geklärten Boden, ist das beste, ja das einzige Erziehungs- mittel zum Gebrauch der Freiheit die Freiheit selbst. Wir halten daher unsererseits dafür, die Rechtsungleichheit Daraus ergiebt sich endlich, dass ohne die Erlangung des <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0014" n="254"/><fw place="top" type="header">Frauenstimmrecht.</fw> schrecken. Es ist auch ohne Zweifel der natürliche Widerwille<lb/> gegen diese oft recht unnatürlichen Zwitter, der viele der<lb/> besten Frauen selber noch zur Zeit bewegt, gegen die sogenannte<lb/> «Frauenemanzipation» im Ganzen und Grossen sich auszu-<lb/> sprechen, weil ihnen das Wort und die oft sehr lauten Ver-<lb/> treterinnen dieser Sache gleichmässig zuwider sind. Das<lb/> Alles sind aber Mängel jeder beginnenden Freiheit. Niemals<lb/> sind die ersten Vorkämpfer einer Sache fehlerfrei und<lb/> namentlich nicht übertreibungsfrei; Enthusiasmus, ja Einseitig-<lb/> keit und Leidenschaftlichkeit gehört zu den menschlichen<lb/> Eigenschaften, die bei der Erschütterung eines bestehenden<lb/> Besitzes stark mitzuwirken pflegen, und nirgends mehr als<lb/> bei allen politischen Emanzipationen gilt das hoch originale<lb/> Wort des Evangeliums, dass die Todten die Todten begraben<lb/> müssen und die Ungerechtigkeit in der Welt nicht durch lauter<lb/> mustergültige Gerechte beseitigt werden kann. Das muss<lb/> bei jeder Befreiung zuerst geschehen, dann aber, auf einem<lb/> so geklärten Boden, ist das beste, ja das einzige Erziehungs-<lb/> mittel zum Gebrauch der Freiheit die Freiheit selbst.</p><lb/> <p>Wir halten daher unsererseits dafür, die Rechtsungleichheit<lb/> der Frauen sei <hi rendition="#g">theoretisch</hi> und <hi rendition="#g">prinzipiell</hi> als Forderung<lb/> der menschlichen Vernunft, oder der göttlichen Weltordnung,<lb/><hi rendition="#g">nicht erweisbar</hi>, sondern höchstens eine Frage der Zweck-<lb/> mässigkeit und in sehr hohem Grade eine solche, bei welcher<lb/> der «beatus possidens» keine Veränderung <hi rendition="#g">wünscht</hi> und dage-<lb/> gen immer Gründe finden wird, so lange <hi rendition="#g">er allein</hi> den Ent-<lb/> scheid in Händen hat.</p><lb/> <p>Daraus ergiebt sich endlich, dass ohne die Erlangung des<lb/> Stimmrechts, oder in rein repräsentativen Staatsordnungen<lb/> des Wahlrechts, für die Frauen, alles Reden über Frauen-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [254/0014]
Frauenstimmrecht.
schrecken. Es ist auch ohne Zweifel der natürliche Widerwille
gegen diese oft recht unnatürlichen Zwitter, der viele der
besten Frauen selber noch zur Zeit bewegt, gegen die sogenannte
«Frauenemanzipation» im Ganzen und Grossen sich auszu-
sprechen, weil ihnen das Wort und die oft sehr lauten Ver-
treterinnen dieser Sache gleichmässig zuwider sind. Das
Alles sind aber Mängel jeder beginnenden Freiheit. Niemals
sind die ersten Vorkämpfer einer Sache fehlerfrei und
namentlich nicht übertreibungsfrei; Enthusiasmus, ja Einseitig-
keit und Leidenschaftlichkeit gehört zu den menschlichen
Eigenschaften, die bei der Erschütterung eines bestehenden
Besitzes stark mitzuwirken pflegen, und nirgends mehr als
bei allen politischen Emanzipationen gilt das hoch originale
Wort des Evangeliums, dass die Todten die Todten begraben
müssen und die Ungerechtigkeit in der Welt nicht durch lauter
mustergültige Gerechte beseitigt werden kann. Das muss
bei jeder Befreiung zuerst geschehen, dann aber, auf einem
so geklärten Boden, ist das beste, ja das einzige Erziehungs-
mittel zum Gebrauch der Freiheit die Freiheit selbst.
Wir halten daher unsererseits dafür, die Rechtsungleichheit
der Frauen sei theoretisch und prinzipiell als Forderung
der menschlichen Vernunft, oder der göttlichen Weltordnung,
nicht erweisbar, sondern höchstens eine Frage der Zweck-
mässigkeit und in sehr hohem Grade eine solche, bei welcher
der «beatus possidens» keine Veränderung wünscht und dage-
gen immer Gründe finden wird, so lange er allein den Ent-
scheid in Händen hat.
Daraus ergiebt sich endlich, dass ohne die Erlangung des
Stimmrechts, oder in rein repräsentativen Staatsordnungen
des Wahlrechts, für die Frauen, alles Reden über Frauen-
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(2013-07-12T09:45:20Z)
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Thomas Gloning, Melanie Henß: Bearbeitung der digitalen Edition.
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