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Hilty, Carl: Frauenstimmrecht. In: Hilty, Carl (Hg.): Politisches Jahrbuch der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Bern, 1897.

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Frauenstimmrecht.
rechte und jede sogenannte Frauenbewegung grösstentheils
leeres Gerede bleibt. Die bessere Erziehung und Ausbildung
der Frauen, ihre Zulassung zu den liberalen Berufsarten, die
Vermehrung ihrer Interessen über die gewöhnliche Dressur
für die Jagd auf einen Ehemann, oder noch ein wenig
Litteratur und Kunst hinaus; ja selbst ihre -- an sich noch
so berechtigte -- ökonomische Befreiung von einer bisherigen,
oft unwürdigen Abhängigkeit ist nicht genügend um eine
gründliche Besserung herbeizuführen. Niemals wird, wie die
Menschen einmal beschaffen sind, eine bisher bevorrechtete
Klasse einer anderen gern Rechtsgleichheit gewähren und
vollends niemals ist ein solches Zugeständniss mehr als ein
blosses Precarium, wenn es durch Schlussnahme des Einen
Theils wieder zurückgenommen werden kann.

Wenn daher die Frauen ihr Recht bloss auf ein Civilgesetz-
buch gründen wollen, das von einer Versammlung gemacht ist
und wieder abgeändert werden kann, welche aus Männern
besteht und nur von Männern gewählt wird, so sind sie nicht
sicher, dass ein kommendes Jahrhundert alle Errungenschaften
des jetzigen, oder nächsten, wieder beseitigt1). Wir haben in
unserer alten eidgenössischen Geschichte das Beispiel vor
Augen, wie aus gleichberechtigten Bürgern nach und nach
Unterthanen von Städten, oder bevorrechteten Klassen ent-
stehen konnten, und die Herabdrückung des ursprünglich
freien germanischen Bauers unter die ursprünglich nicht
einmal immer freie Klasse von Ministerial-Adligen, von
welcher sich nur die thatkräftigeren Bürger der Städte frei

1) Im Strafrecht dagegen, wo es sich nicht um Vortheile,
sondern um Nachtheile handelt, lässt man ihnen durchschnittlich
unbeanstandet die Rechtsgleichheit, wenigstens grundsätzlich, an-
gedeihen.

Frauenstimmrecht.
rechte und jede sogenannte Frauenbewegung grösstentheils
leeres Gerede bleibt. Die bessere Erziehung und Ausbildung
der Frauen, ihre Zulassung zu den liberalen Berufsarten, die
Vermehrung ihrer Interessen über die gewöhnliche Dressur
für die Jagd auf einen Ehemann, oder noch ein wenig
Litteratur und Kunst hinaus; ja selbst ihre — an sich noch
so berechtigte — ökonomische Befreiung von einer bisherigen,
oft unwürdigen Abhängigkeit ist nicht genügend um eine
gründliche Besserung herbeizuführen. Niemals wird, wie die
Menschen einmal beschaffen sind, eine bisher bevorrechtete
Klasse einer anderen gern Rechtsgleichheit gewähren und
vollends niemals ist ein solches Zugeständniss mehr als ein
blosses Precarium, wenn es durch Schlussnahme des Einen
Theils wieder zurückgenommen werden kann.

Wenn daher die Frauen ihr Recht bloss auf ein Civilgesetz-
buch gründen wollen, das von einer Versammlung gemacht ist
und wieder abgeändert werden kann, welche aus Männern
besteht und nur von Männern gewählt wird, so sind sie nicht
sicher, dass ein kommendes Jahrhundert alle Errungenschaften
des jetzigen, oder nächsten, wieder beseitigt1). Wir haben in
unserer alten eidgenössischen Geschichte das Beispiel vor
Augen, wie aus gleichberechtigten Bürgern nach und nach
Unterthanen von Städten, oder bevorrechteten Klassen ent-
stehen konnten, und die Herabdrückung des ursprünglich
freien germanischen Bauers unter die ursprünglich nicht
einmal immer freie Klasse von Ministerial-Adligen, von
welcher sich nur die thatkräftigeren Bürger der Städte frei

1) Im Strafrecht dagegen, wo es sich nicht um Vortheile,
sondern um Nachtheile handelt, lässt man ihnen durchschnittlich
unbeanstandet die Rechtsgleichheit, wenigstens grundsätzlich, an-
gedeihen.
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[255/0015] Frauenstimmrecht. rechte und jede sogenannte Frauenbewegung grösstentheils leeres Gerede bleibt. Die bessere Erziehung und Ausbildung der Frauen, ihre Zulassung zu den liberalen Berufsarten, die Vermehrung ihrer Interessen über die gewöhnliche Dressur für die Jagd auf einen Ehemann, oder noch ein wenig Litteratur und Kunst hinaus; ja selbst ihre — an sich noch so berechtigte — ökonomische Befreiung von einer bisherigen, oft unwürdigen Abhängigkeit ist nicht genügend um eine gründliche Besserung herbeizuführen. Niemals wird, wie die Menschen einmal beschaffen sind, eine bisher bevorrechtete Klasse einer anderen gern Rechtsgleichheit gewähren und vollends niemals ist ein solches Zugeständniss mehr als ein blosses Precarium, wenn es durch Schlussnahme des Einen Theils wieder zurückgenommen werden kann. Wenn daher die Frauen ihr Recht bloss auf ein Civilgesetz- buch gründen wollen, das von einer Versammlung gemacht ist und wieder abgeändert werden kann, welche aus Männern besteht und nur von Männern gewählt wird, so sind sie nicht sicher, dass ein kommendes Jahrhundert alle Errungenschaften des jetzigen, oder nächsten, wieder beseitigt 1). Wir haben in unserer alten eidgenössischen Geschichte das Beispiel vor Augen, wie aus gleichberechtigten Bürgern nach und nach Unterthanen von Städten, oder bevorrechteten Klassen ent- stehen konnten, und die Herabdrückung des ursprünglich freien germanischen Bauers unter die ursprünglich nicht einmal immer freie Klasse von Ministerial-Adligen, von welcher sich nur die thatkräftigeren Bürger der Städte frei 1) Im Strafrecht dagegen, wo es sich nicht um Vortheile, sondern um Nachtheile handelt, lässt man ihnen durchschnittlich unbeanstandet die Rechtsgleichheit, wenigstens grundsätzlich, an- gedeihen.

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Zitationshilfe: Hilty, Carl: Frauenstimmrecht. In: Hilty, Carl (Hg.): Politisches Jahrbuch der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Bern, 1897, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hilty_frauenstimmrecht_1897/15>, abgerufen am 27.04.2024.