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Hilty, Carl: Frauenstimmrecht. In: Hilty, Carl (Hg.): Politisches Jahrbuch der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Bern, 1897.

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Frauenstimmrecht.

4. Ein beständig wiederkehrendes Argument liefert der
Apostel Paulus mit seinem "mulier taceat in ecelesia". Man
darf dabei zugestehen, dass sich das nicht allein auf die
Kirche im engeren Sinne bezieht, sondern dass überhaupt
das Auftreten der Frauen in der Oeffentlichkeit verurtheilt
werden will.1) Dagegen glauben wir, wie schon einmal gesagt,
nicht, dass der Apostel über die Verhältnisse der Frauen auf
alle Zeiten und für alle Völker massgebende Ansichten aus-
gesprochen habe, sondern solche, welche für die damaligen
Verhältnisse, namentlich der grossen griechischen Städte und
für die Art von Bevölkerung, ans der sich das erste Christen-
thum rekrutirte, am Platze waren. Von Staatsangelegenheiten
speziell spricht der Apostel ganz und gar nicht, was sich daraus
erklärt, dass er den damaligen Staat als eine vorübergehende
Erscheinung von sehr kurzer Dauer ansah, ja sogar selbst noch
das Aufhören desselben, die Wiederkunft Christi zum Welt-
gericht und eine ganz andere Weltordnung, zu erleben hoffte.2)
Unter solchen Umständen verlieren diese oft citirten Worte
über das "Schweigen" der Frauen an Bedeutung. Die Lehre
des Apostels Paulus in Eph. V, 22 und ff. ist zwar ganz an-
wendbar auch für die heutigen Zeiten, und in jeder Ehe,
wie sie sein soll; aber nicht jede Frau kann einen Mann
haben und der Fehler der jetzigen Männer besteht vielfach
gerade darin, dass sie die Eigenschaften, die dazu ge-
hören, um "Herr und Haupt, wie Christus in der Gemeinde"
zu sein, gar nicht besitzen und dann blosse Haustyrannen

1) Noch vor Kurzem legte dies der Erzbischof von Paris in
einem konfidentiellen Rundschreiben an die Pfarrer seiner Diöcese
dahin aus, dass die Frauen bei gottesdienstlichen Handlungen auch
nicht singen dürfen, was allerdings dem Wortlaut der Vorschrift
und, so viel wir wissen, auch der korrekten kanonischen Regel
entspricht.
2) Vergl. den ersten Brief an die Thessalonicher IV, 16--18.
Frauenstimmrecht.

4. Ein beständig wiederkehrendes Argument liefert der
Apostel Paulus mit seinem «mulier taceat in ecelesia». Man
darf dabei zugestehen, dass sich das nicht allein auf die
Kirche im engeren Sinne bezieht, sondern dass überhaupt
das Auftreten der Frauen in der Oeffentlichkeit verurtheilt
werden will.1) Dagegen glauben wir, wie schon einmal gesagt,
nicht, dass der Apostel über die Verhältnisse der Frauen auf
alle Zeiten und für alle Völker massgebende Ansichten aus-
gesprochen habe, sondern solche, welche für die damaligen
Verhältnisse, namentlich der grossen griechischen Städte und
für die Art von Bevölkerung, ans der sich das erste Christen-
thum rekrutirte, am Platze waren. Von Staatsangelegenheiten
speziell spricht der Apostel ganz und gar nicht, was sich daraus
erklärt, dass er den damaligen Staat als eine vorübergehende
Erscheinung von sehr kurzer Dauer ansah, ja sogar selbst noch
das Aufhören desselben, die Wiederkunft Christi zum Welt-
gericht und eine ganz andere Weltordnung, zu erleben hoffte.2)
Unter solchen Umständen verlieren diese oft citirten Worte
über das «Schweigen» der Frauen an Bedeutung. Die Lehre
des Apostels Paulus in Eph. V, 22 und ff. ist zwar ganz an-
wendbar auch für die heutigen Zeiten, und in jeder Ehe,
wie sie sein soll; aber nicht jede Frau kann einen Mann
haben und der Fehler der jetzigen Männer besteht vielfach
gerade darin, dass sie die Eigenschaften, die dazu ge-
hören, um «Herr und Haupt, wie Christus in der Gemeinde»
zu sein, gar nicht besitzen und dann blosse Haustyrannen

1) Noch vor Kurzem legte dies der Erzbischof von Paris in
einem konfidentiellen Rundschreiben an die Pfarrer seiner Diöcese
dahin aus, dass die Frauen bei gottesdienstlichen Handlungen auch
nicht singen dürfen, was allerdings dem Wortlaut der Vorschrift
und, so viel wir wissen, auch der korrekten kanonischen Regel
entspricht.
2) Vergl. den ersten Brief an die Thessalonicher IV, 16—18.
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[287/0047] Frauenstimmrecht. 4. Ein beständig wiederkehrendes Argument liefert der Apostel Paulus mit seinem «mulier taceat in ecelesia». Man darf dabei zugestehen, dass sich das nicht allein auf die Kirche im engeren Sinne bezieht, sondern dass überhaupt das Auftreten der Frauen in der Oeffentlichkeit verurtheilt werden will. 1) Dagegen glauben wir, wie schon einmal gesagt, nicht, dass der Apostel über die Verhältnisse der Frauen auf alle Zeiten und für alle Völker massgebende Ansichten aus- gesprochen habe, sondern solche, welche für die damaligen Verhältnisse, namentlich der grossen griechischen Städte und für die Art von Bevölkerung, ans der sich das erste Christen- thum rekrutirte, am Platze waren. Von Staatsangelegenheiten speziell spricht der Apostel ganz und gar nicht, was sich daraus erklärt, dass er den damaligen Staat als eine vorübergehende Erscheinung von sehr kurzer Dauer ansah, ja sogar selbst noch das Aufhören desselben, die Wiederkunft Christi zum Welt- gericht und eine ganz andere Weltordnung, zu erleben hoffte. 2) Unter solchen Umständen verlieren diese oft citirten Worte über das «Schweigen» der Frauen an Bedeutung. Die Lehre des Apostels Paulus in Eph. V, 22 und ff. ist zwar ganz an- wendbar auch für die heutigen Zeiten, und in jeder Ehe, wie sie sein soll; aber nicht jede Frau kann einen Mann haben und der Fehler der jetzigen Männer besteht vielfach gerade darin, dass sie die Eigenschaften, die dazu ge- hören, um «Herr und Haupt, wie Christus in der Gemeinde» zu sein, gar nicht besitzen und dann blosse Haustyrannen 1) Noch vor Kurzem legte dies der Erzbischof von Paris in einem konfidentiellen Rundschreiben an die Pfarrer seiner Diöcese dahin aus, dass die Frauen bei gottesdienstlichen Handlungen auch nicht singen dürfen, was allerdings dem Wortlaut der Vorschrift und, so viel wir wissen, auch der korrekten kanonischen Regel entspricht. 2) Vergl. den ersten Brief an die Thessalonicher IV, 16—18.

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Zitationshilfe: Hilty, Carl: Frauenstimmrecht. In: Hilty, Carl (Hg.): Politisches Jahrbuch der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Bern, 1897, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hilty_frauenstimmrecht_1897/47>, abgerufen am 28.04.2024.