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Hilty, Carl: Frauenstimmrecht. In: Hilty, Carl (Hg.): Politisches Jahrbuch der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Bern, 1897.

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Frauenstimmrecht.
welches aber, wie wir im Eingang ans der israelitischen Ge-
schichte hervorhoben, ihn auch durchaus nicht immer festhält.
Diese religiösen Bedenken sind daher, wenigstens bei dem
grösseren Theil derer, die sie anführen, nicht ganz
ernstlich zu nehmen.

Wir läugnen im Uebrigen gar nicht, dass auch jetzt noch,
so gut wie in der antiken Welt, Manches vorhanden ist, was
gegen die direkte Betheiligung der Frauen am Staatswesen,
oder wenigstens gegen ihre sofortige und gänzliche
Emanzipation spricht.1) Aber wo sind solche Schwierigkeiten
nicht bei jeder Emanzipation vorhanden gewesen, und wollen
wir desshalb die Emanzipation der Sklaven, der Leibeigenen
und Hörigen des Mittelalters, der politisch unselbständigen
Unterthanen, oder "Hintersässen" auch in unserer Geschichte,
verurtheilen, oder als unzweckmässig erklären?

Es ist auch wahr, dass man dermalen, gerade in den
gebildeten Klassen, ziemlich wenige junge Damen sieht, von
denen man vollkommen überzeugt sein könnte, dass sie sich zum
Stimmrecht eigneten. Aber eignen sie sieh etwa mit ihrer
jetzigen Erziehung besser zum Haushalt und zur Kinder-
erziehung? Die meisten haben allerlei dilettantische
Liebhabereien
, Musik, Malerei. Romane, oder Radfahren
und anderen Sport, statt wirklicher Interessen, im Kopfe; oder

1) Wahr ist sogar, dass gegenwärtig noch an den Frauen, die
stark in die Oeffentlichkeit treten (ausser in regierender Stellung),
eine Art von levis nota haftet. Nicht Jedermann möchte sie zur Ehe-
genossin, oder Mutter haben. Dagegen nimmt auch (als Gegengewicht)
von ihnen allein die Oeffentlichkeit Notiz. Wenn eine Schauspielerin,
oder Tänzerin, oder Sängerin, oder Schriftstellerin stirbt, erfährt es
durch die Presse die ganze Welt, während die edelste und bedeutendste
Frau anderer Art ganz unbeklagt von ihrem Volke dahingeht.

Frauenstimmrecht.
welches aber, wie wir im Eingang ans der israelitischen Ge-
schichte hervorhoben, ihn auch durchaus nicht immer festhält.
Diese religiösen Bedenken sind daher, wenigstens bei dem
grösseren Theil derer, die sie anführen, nicht ganz
ernstlich zu nehmen.

Wir läugnen im Uebrigen gar nicht, dass auch jetzt noch,
so gut wie in der antiken Welt, Manches vorhanden ist, was
gegen die direkte Betheiligung der Frauen am Staatswesen,
oder wenigstens gegen ihre sofortige und gänzliche
Emanzipation spricht.1) Aber wo sind solche Schwierigkeiten
nicht bei jeder Emanzipation vorhanden gewesen, und wollen
wir desshalb die Emanzipation der Sklaven, der Leibeigenen
und Hörigen des Mittelalters, der politisch unselbständigen
Unterthanen, oder «Hintersässen» auch in unserer Geschichte,
verurtheilen, oder als unzweckmässig erklären?

Es ist auch wahr, dass man dermalen, gerade in den
gebildeten Klassen, ziemlich wenige junge Damen sieht, von
denen man vollkommen überzeugt sein könnte, dass sie sich zum
Stimmrecht eigneten. Aber eignen sie sieh etwa mit ihrer
jetzigen Erziehung besser zum Haushalt und zur Kinder-
erziehung? Die meisten haben allerlei dilettantische
Liebhabereien
, Musik, Malerei. Romane, oder Radfahren
und anderen Sport, statt wirklicher Interessen, im Kopfe; oder

1) Wahr ist sogar, dass gegenwärtig noch an den Frauen, die
stark in die Oeffentlichkeit treten (ausser in regierender Stellung),
eine Art von levis nota haftet. Nicht Jedermann möchte sie zur Ehe-
genossin, oder Mutter haben. Dagegen nimmt auch (als Gegengewicht)
von ihnen allein die Oeffentlichkeit Notiz. Wenn eine Schauspielerin,
oder Tänzerin, oder Sängerin, oder Schriftstellerin stirbt, erfährt es
durch die Presse die ganze Welt, während die edelste und bedeutendste
Frau anderer Art ganz unbeklagt von ihrem Volke dahingeht.
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[289/0049] Frauenstimmrecht. welches aber, wie wir im Eingang ans der israelitischen Ge- schichte hervorhoben, ihn auch durchaus nicht immer festhält. Diese religiösen Bedenken sind daher, wenigstens bei dem grösseren Theil derer, die sie anführen, nicht ganz ernstlich zu nehmen. Wir läugnen im Uebrigen gar nicht, dass auch jetzt noch, so gut wie in der antiken Welt, Manches vorhanden ist, was gegen die direkte Betheiligung der Frauen am Staatswesen, oder wenigstens gegen ihre sofortige und gänzliche Emanzipation spricht. 1) Aber wo sind solche Schwierigkeiten nicht bei jeder Emanzipation vorhanden gewesen, und wollen wir desshalb die Emanzipation der Sklaven, der Leibeigenen und Hörigen des Mittelalters, der politisch unselbständigen Unterthanen, oder «Hintersässen» auch in unserer Geschichte, verurtheilen, oder als unzweckmässig erklären? Es ist auch wahr, dass man dermalen, gerade in den gebildeten Klassen, ziemlich wenige junge Damen sieht, von denen man vollkommen überzeugt sein könnte, dass sie sich zum Stimmrecht eigneten. Aber eignen sie sieh etwa mit ihrer jetzigen Erziehung besser zum Haushalt und zur Kinder- erziehung? Die meisten haben allerlei dilettantische Liebhabereien, Musik, Malerei. Romane, oder Radfahren und anderen Sport, statt wirklicher Interessen, im Kopfe; oder 1) Wahr ist sogar, dass gegenwärtig noch an den Frauen, die stark in die Oeffentlichkeit treten (ausser in regierender Stellung), eine Art von levis nota haftet. Nicht Jedermann möchte sie zur Ehe- genossin, oder Mutter haben. Dagegen nimmt auch (als Gegengewicht) von ihnen allein die Oeffentlichkeit Notiz. Wenn eine Schauspielerin, oder Tänzerin, oder Sängerin, oder Schriftstellerin stirbt, erfährt es durch die Presse die ganze Welt, während die edelste und bedeutendste Frau anderer Art ganz unbeklagt von ihrem Volke dahingeht.

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Zitationshilfe: Hilty, Carl: Frauenstimmrecht. In: Hilty, Carl (Hg.): Politisches Jahrbuch der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Bern, 1897, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hilty_frauenstimmrecht_1897/49>, abgerufen am 27.04.2024.