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Hilty, Carl: Frauenstimmrecht. In: Hilty, Carl (Hg.): Politisches Jahrbuch der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Bern, 1897.

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Frauenstimmrecht.
auch das alte Testament Beispiele von einer sehr gleichartigen
Stellung der Frau, sobald sich dieselbe durch Geist und Charakter
auszeichnete, dergestalt, dass zeitweise Frauen, und zwar
sogar verheirathete, das oberste Richteramt des Volkes Israel
in Händen hatten, nicht etwa Kraft einer Wahl, sondern Kraft
einer allgemeinen Anerkennung, dass sie die weisesten und
tüchtigsten, von Gottes Geist am meisten beseelten Individuen
des zeitweiligen Volksganzen seien1).

Eine höhere Anerkennung der Rechtsgleichheit und des
göttlichen Willens einer solchen, sobald die individuellen Voraus-
setzungen dazu vorhanden sind, kann es gar nicht geben2), und
bis auf den heutigen Tag ist davon bei der Mehrzahl der civili-
sirten Völker, da wo die monarchische Staatsform und nicht

liche Theil offenbar der bei weitem kläglichere ist; zuerst übertreibt
er willkürlich Gottes Verbot bis zum Nichtanrühren des Baumes,
nachher lässt er sich ohne die geringste Einwendung verführen und
zuletzt will er noch die Schuld auf Andere schieben. (I. Mos. III, 12.)
Das zeigt keine besondere Begabung zum Herrschen.
1) I. Mose XXI, 12; Richter IV, 4--8; V, 7; Nehemia VI, 14;
Lucas II, 38; Joel III, 1; II. Chron. XXXIV, 22. Bemerkenswerth
ist auch die Stelle Esther I, 16--20, wo die persischen Grossen
eine sehr erhebliche Befürchtung für ihr häusliches Regiment beur-
kunden. Dasselbe soll auch, wie manche Kenner versichern, in den
heutigen orientalischen Familien weit mehr in den Händen der
Frauen liegen, als man es bei dem Mangel an Bildung derselben
und der herunterdrückenden Polygamie für möglich halten sollte.
Auch in den Anfängen des Islam spielten die Frauen des Pro-
pheten eine gar nicht unbedeutende Rolle, Ayescha sogar noch
über die Lebenszeit Mohammeds hinaus. Im neuen Testament
tritt die Rechtsungleichheit positiv erst in den bekannten Stellen der
Briefe des Apostels Paulus auf. Christus selbst kennt keinen Unter-
schied und hat seine tiefsinnigste Rede, an eine einzelne
Frau
gerichtet, -- nicht verschwendet. Joh. IV, 8 und folg.
2) Deborah sagt geradezu dass es "an Regiment fehlte in Israel
bis ich, Deborah, aufkam, eine Mutter in Israel". Richter V, 7.

Frauenstimmrecht.
auch das alte Testament Beispiele von einer sehr gleichartigen
Stellung der Frau, sobald sich dieselbe durch Geist und Charakter
auszeichnete, dergestalt, dass zeitweise Frauen, und zwar
sogar verheirathete, das oberste Richteramt des Volkes Israel
in Händen hatten, nicht etwa Kraft einer Wahl, sondern Kraft
einer allgemeinen Anerkennung, dass sie die weisesten und
tüchtigsten, von Gottes Geist am meisten beseelten Individuen
des zeitweiligen Volksganzen seien1).

Eine höhere Anerkennung der Rechtsgleichheit und des
göttlichen Willens einer solchen, sobald die individuellen Voraus-
setzungen dazu vorhanden sind, kann es gar nicht geben2), und
bis auf den heutigen Tag ist davon bei der Mehrzahl der civili-
sirten Völker, da wo die monarchische Staatsform und nicht

liche Theil offenbar der bei weitem kläglichere ist; zuerst übertreibt
er willkürlich Gottes Verbot bis zum Nichtanrühren des Baumes,
nachher lässt er sich ohne die geringste Einwendung verführen und
zuletzt will er noch die Schuld auf Andere schieben. (I. Mos. III, 12.)
Das zeigt keine besondere Begabung zum Herrschen.
1) I. Mose XXI, 12; Richter IV, 4—8; V, 7; Nehemia VI, 14;
Lucas II, 38; Joel III, 1; II. Chron. XXXIV, 22. Bemerkenswerth
ist auch die Stelle Esther I, 16—20, wo die persischen Grossen
eine sehr erhebliche Befürchtung für ihr häusliches Regiment beur-
kunden. Dasselbe soll auch, wie manche Kenner versichern, in den
heutigen orientalischen Familien weit mehr in den Händen der
Frauen liegen, als man es bei dem Mangel an Bildung derselben
und der herunterdrückenden Polygamie für möglich halten sollte.
Auch in den Anfängen des Islam spielten die Frauen des Pro-
pheten eine gar nicht unbedeutende Rolle, Ayescha sogar noch
über die Lebenszeit Mohammeds hinaus. Im neuen Testament
tritt die Rechtsungleichheit positiv erst in den bekannten Stellen der
Briefe des Apostels Paulus auf. Christus selbst kennt keinen Unter-
schied und hat seine tiefsinnigste Rede, an eine einzelne
Frau
gerichtet, — nicht verschwendet. Joh. IV, 8 und folg.
2) Deborah sagt geradezu dass es «an Regiment fehlte in Israel
bis ich, Deborah, aufkam, eine Mutter in Israel». Richter V, 7.
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[248/0008] Frauenstimmrecht. auch das alte Testament Beispiele von einer sehr gleichartigen Stellung der Frau, sobald sich dieselbe durch Geist und Charakter auszeichnete, dergestalt, dass zeitweise Frauen, und zwar sogar verheirathete, das oberste Richteramt des Volkes Israel in Händen hatten, nicht etwa Kraft einer Wahl, sondern Kraft einer allgemeinen Anerkennung, dass sie die weisesten und tüchtigsten, von Gottes Geist am meisten beseelten Individuen des zeitweiligen Volksganzen seien 1). Eine höhere Anerkennung der Rechtsgleichheit und des göttlichen Willens einer solchen, sobald die individuellen Voraus- setzungen dazu vorhanden sind, kann es gar nicht geben 2), und bis auf den heutigen Tag ist davon bei der Mehrzahl der civili- sirten Völker, da wo die monarchische Staatsform und nicht 2) 1) I. Mose XXI, 12; Richter IV, 4—8; V, 7; Nehemia VI, 14; Lucas II, 38; Joel III, 1; II. Chron. XXXIV, 22. Bemerkenswerth ist auch die Stelle Esther I, 16—20, wo die persischen Grossen eine sehr erhebliche Befürchtung für ihr häusliches Regiment beur- kunden. Dasselbe soll auch, wie manche Kenner versichern, in den heutigen orientalischen Familien weit mehr in den Händen der Frauen liegen, als man es bei dem Mangel an Bildung derselben und der herunterdrückenden Polygamie für möglich halten sollte. Auch in den Anfängen des Islam spielten die Frauen des Pro- pheten eine gar nicht unbedeutende Rolle, Ayescha sogar noch über die Lebenszeit Mohammeds hinaus. Im neuen Testament tritt die Rechtsungleichheit positiv erst in den bekannten Stellen der Briefe des Apostels Paulus auf. Christus selbst kennt keinen Unter- schied und hat seine tiefsinnigste Rede, an eine einzelne Frau gerichtet, — nicht verschwendet. Joh. IV, 8 und folg. 2) Deborah sagt geradezu dass es «an Regiment fehlte in Israel bis ich, Deborah, aufkam, eine Mutter in Israel». Richter V, 7. 2) liche Theil offenbar der bei weitem kläglichere ist; zuerst übertreibt er willkürlich Gottes Verbot bis zum Nichtanrühren des Baumes, nachher lässt er sich ohne die geringste Einwendung verführen und zuletzt will er noch die Schuld auf Andere schieben. (I. Mos. III, 12.) Das zeigt keine besondere Begabung zum Herrschen.

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Zitationshilfe: Hilty, Carl: Frauenstimmrecht. In: Hilty, Carl (Hg.): Politisches Jahrbuch der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Bern, 1897, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hilty_frauenstimmrecht_1897/8>, abgerufen am 27.04.2024.