Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

hätte gewiß alle beide aus freyer Faust aufge-
gessen, wenn nicht alsdenn die beiden Nägel
wieder vacant geworden wären. Ich schlief
die Nacht, und wenn mein Vater nicht noch
ganz verfinstert gewesen wäre, würd' er aus
meinen Augen eben so viel gelesen haben,
als ich zuvor aus den Seinigen las.

Ehe noch das Fatale interponendae und
introducendae abgelaufen und mein Leben oder
Tod res judicata eine rechtskräftige Sache war,
bekam mein Vater einen Brief für den er viel
Postgeld bezahlen mußte, und dieser Brief
brachte ihm den zweiten Diskant mit, den
meine Leser ihn sogleich singen hören werden.

Er las diesen Brief, las ihn wieder und
da er ihn zum dritten mal anfieng rief er
mit wehmüthiger Stimme. Licht! Es ist
aus! Gott schrie ich: aus! und meine Mut-
ter: aus!

Wenn er lieber auf die Würme curirt
hätte? fragte meine Mutter meinen Vater,
nicht wahr? lieber auf die Würme?

"Es ist aus, sagte" mein Vater. Der
Stärkste in seiner Kunst ist Saft nicht fuhr
meine Mutter fort. Ich wett' er ist da
Docktor worden wo der alte Herr Litteratus
gewesen ist. Gottes Wege sind nicht unsre

Wege!
J 3

haͤtte gewiß alle beide aus freyer Fauſt aufge-
geſſen, wenn nicht alsdenn die beiden Naͤgel
wieder vacant geworden waͤren. Ich ſchlief
die Nacht, und wenn mein Vater nicht noch
ganz verfinſtert geweſen waͤre, wuͤrd’ er aus
meinen Augen eben ſo viel geleſen haben,
als ich zuvor aus den Seinigen las.

Ehe noch das Fatale interponendæ und
introducendæ abgelaufen und mein Leben oder
Tod res judicata eine rechtskraͤftige Sache war,
bekam mein Vater einen Brief fuͤr den er viel
Poſtgeld bezahlen mußte, und dieſer Brief
brachte ihm den zweiten Diſkant mit, den
meine Leſer ihn ſogleich ſingen hoͤren werden.

Er las dieſen Brief, las ihn wieder und
da er ihn zum dritten mal anfieng rief er
mit wehmuͤthiger Stimme. Licht! Es iſt
aus! Gott ſchrie ich: aus! und meine Mut-
ter: aus!

Wenn er lieber auf die Wuͤrme curirt
haͤtte? fragte meine Mutter meinen Vater,
nicht wahr? lieber auf die Wuͤrme?

„Es iſt aus, ſagte„ mein Vater. Der
Staͤrkſte in ſeiner Kunſt iſt Saft nicht fuhr
meine Mutter fort. Ich wett’ er iſt da
Docktor worden wo der alte Herr Litteratus
geweſen iſt. Gottes Wege ſind nicht unſre

Wege!
J 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0139" n="131"/>
ha&#x0364;tte gewiß alle beide aus freyer Fau&#x017F;t aufge-<lb/>
ge&#x017F;&#x017F;en, wenn nicht alsdenn die beiden Na&#x0364;gel<lb/>
wieder vacant geworden wa&#x0364;ren. Ich &#x017F;chlief<lb/>
die Nacht, und wenn mein Vater nicht noch<lb/>
ganz verfin&#x017F;tert gewe&#x017F;en wa&#x0364;re, wu&#x0364;rd&#x2019; er aus<lb/>
meinen Augen eben &#x017F;o viel gele&#x017F;en haben,<lb/>
als ich zuvor aus den Seinigen las.</p><lb/>
        <p>Ehe noch das <hi rendition="#aq">Fatale interponendæ</hi> und<lb/><hi rendition="#aq">introducendæ</hi> abgelaufen und mein Leben oder<lb/>
Tod <hi rendition="#aq">res judicata</hi> eine rechtskra&#x0364;ftige Sache war,<lb/>
bekam mein Vater einen Brief fu&#x0364;r den er viel<lb/>
Po&#x017F;tgeld bezahlen mußte, und die&#x017F;er Brief<lb/>
brachte ihm den zweiten Di&#x017F;kant mit, den<lb/>
meine Le&#x017F;er ihn &#x017F;ogleich &#x017F;ingen ho&#x0364;ren werden.</p><lb/>
        <p>Er las die&#x017F;en Brief, las ihn wieder und<lb/>
da er ihn zum dritten mal anfieng rief er<lb/>
mit wehmu&#x0364;thiger Stimme. Licht! Es i&#x017F;t<lb/>
aus! Gott &#x017F;chrie ich: aus! und meine Mut-<lb/>
ter: aus!</p><lb/>
        <p>Wenn er lieber auf die Wu&#x0364;rme curirt<lb/>
ha&#x0364;tte? fragte meine Mutter meinen Vater,<lb/>
nicht wahr? lieber auf die Wu&#x0364;rme?</p><lb/>
        <p>&#x201E;Es i&#x017F;t aus, &#x017F;agte&#x201E; mein Vater. Der<lb/>
Sta&#x0364;rk&#x017F;te in &#x017F;einer Kun&#x017F;t i&#x017F;t Saft nicht fuhr<lb/>
meine Mutter fort. Ich wett&#x2019; er i&#x017F;t da<lb/>
Docktor worden wo der alte Herr Litteratus<lb/>
gewe&#x017F;en i&#x017F;t. Gottes Wege &#x017F;ind nicht un&#x017F;re<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Wege!</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[131/0139] haͤtte gewiß alle beide aus freyer Fauſt aufge- geſſen, wenn nicht alsdenn die beiden Naͤgel wieder vacant geworden waͤren. Ich ſchlief die Nacht, und wenn mein Vater nicht noch ganz verfinſtert geweſen waͤre, wuͤrd’ er aus meinen Augen eben ſo viel geleſen haben, als ich zuvor aus den Seinigen las. Ehe noch das Fatale interponendæ und introducendæ abgelaufen und mein Leben oder Tod res judicata eine rechtskraͤftige Sache war, bekam mein Vater einen Brief fuͤr den er viel Poſtgeld bezahlen mußte, und dieſer Brief brachte ihm den zweiten Diſkant mit, den meine Leſer ihn ſogleich ſingen hoͤren werden. Er las dieſen Brief, las ihn wieder und da er ihn zum dritten mal anfieng rief er mit wehmuͤthiger Stimme. Licht! Es iſt aus! Gott ſchrie ich: aus! und meine Mut- ter: aus! Wenn er lieber auf die Wuͤrme curirt haͤtte? fragte meine Mutter meinen Vater, nicht wahr? lieber auf die Wuͤrme? „Es iſt aus, ſagte„ mein Vater. Der Staͤrkſte in ſeiner Kunſt iſt Saft nicht fuhr meine Mutter fort. Ich wett’ er iſt da Docktor worden wo der alte Herr Litteratus geweſen iſt. Gottes Wege ſind nicht unſre Wege! J 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/139
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/139>, abgerufen am 18.05.2024.