Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

wird in Wahrheit nur ein kleines nöthig haben
um dem Gelehrtesten gleich zu seyn. Der einzige
Unterschied zwische einem Gelehrten und Unge-
lehrten in der andern Welt wird seyn, daß der
erstece mehr vergessen muß als der leztere um
himmlisch zu wissen was er weiß: und was
ist schwerer? vergessen was man nicht halb
nicht ganz wußte, oder gleich die Sache beym
rechten Ende fassen? Der Litteratus (welches
in Curland gemeinhin ein gekaufter Tittel
ist) wenn ihm auch dieses Diplom seiner
Geschicklichkeit wegen ohne Geld und gute
Worte zugestanden werden kann, hat nicht
Ursache stoltz zu seyn, denn der Unwissende
unterscheidet sich vom Wissenden blos darinn
daß dieser Sagen Aussprechen kann, was
beide wissen, und das erste Capittel von dem
was sie beide nicht wissen. Ein schönes Buch
das wircklich schön ist, das von Herzen kommt
und zu Herzen geht, was meinest du? hast
du das nicht alles gedacht was drein steht.
Du hast nur -- eine Kleinigkeit -- nicht
das Buch selbst geschrieben. Du hast nichts
gelernt, sondern nur mit diesem Buch Feuer
in deiner Seele angefacht.

Mein Vater nahm Gelegenheit diese Sätze
auf Vernunft und Religion anzuwenden

Aber
K

wird in Wahrheit nur ein kleines noͤthig haben
um dem Gelehrteſten gleich zu ſeyn. Der einzige
Unterſchied zwiſche einem Gelehrten und Unge-
lehrten in der andern Welt wird ſeyn, daß der
erſtece mehr vergeſſen muß als der leztere um
himmliſch zu wiſſen was er weiß: und was
iſt ſchwerer? vergeſſen was man nicht halb
nicht ganz wußte, oder gleich die Sache beym
rechten Ende faſſen? Der Litteratus (welches
in Curland gemeinhin ein gekaufter Tittel
iſt) wenn ihm auch dieſes Diplom ſeiner
Geſchicklichkeit wegen ohne Geld und gute
Worte zugeſtanden werden kann, hat nicht
Urſache ſtoltz zu ſeyn, denn der Unwiſſende
unterſcheidet ſich vom Wiſſenden blos darinn
daß dieſer Sagen Ausſprechen kann, was
beide wiſſen, und das erſte Capittel von dem
was ſie beide nicht wiſſen. Ein ſchoͤnes Buch
das wircklich ſchoͤn iſt, das von Herzen kommt
und zu Herzen geht, was meineſt du? haſt
du das nicht alles gedacht was drein ſteht.
Du haſt nur — eine Kleinigkeit — nicht
das Buch ſelbſt geſchrieben. Du haſt nichts
gelernt, ſondern nur mit dieſem Buch Feuer
in deiner Seele angefacht.

Mein Vater nahm Gelegenheit dieſe Saͤtze
auf Vernunft und Religion anzuwenden

Aber
K
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0151" n="143"/>
wird in Wahrheit nur ein kleines no&#x0364;thig haben<lb/>
um dem Gelehrte&#x017F;ten gleich zu &#x017F;eyn. Der einzige<lb/>
Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;che einem Gelehrten und Unge-<lb/>
lehrten in der andern Welt wird &#x017F;eyn, daß der<lb/>
er&#x017F;tece mehr verge&#x017F;&#x017F;en muß als der leztere um<lb/>
himmli&#x017F;ch zu wi&#x017F;&#x017F;en was er weiß: und was<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;chwerer? verge&#x017F;&#x017F;en was man nicht halb<lb/>
nicht ganz wußte, oder gleich die Sache beym<lb/>
rechten Ende fa&#x017F;&#x017F;en? Der Litteratus (welches<lb/>
in Curland gemeinhin ein <hi rendition="#fr">gekaufter</hi> Tittel<lb/>
i&#x017F;t) wenn ihm auch die&#x017F;es Diplom &#x017F;einer<lb/>
Ge&#x017F;chicklichkeit wegen ohne Geld und gute<lb/>
Worte zuge&#x017F;tanden werden kann, hat nicht<lb/>
Ur&#x017F;ache &#x017F;toltz zu &#x017F;eyn, denn der Unwi&#x017F;&#x017F;ende<lb/>
unter&#x017F;cheidet &#x017F;ich vom Wi&#x017F;&#x017F;enden blos darinn<lb/>
daß die&#x017F;er <hi rendition="#fr">Sagen Aus&#x017F;prechen</hi> kann, was<lb/>
beide wi&#x017F;&#x017F;en, und das er&#x017F;te Capittel von dem<lb/>
was &#x017F;ie beide nicht wi&#x017F;&#x017F;en. Ein &#x017F;cho&#x0364;nes Buch<lb/>
das wircklich &#x017F;cho&#x0364;n i&#x017F;t, das von Herzen kommt<lb/>
und zu Herzen geht, was meine&#x017F;t du? ha&#x017F;t<lb/>
du das nicht alles gedacht was drein &#x017F;teht.<lb/>
Du ha&#x017F;t nur &#x2014; eine Kleinigkeit &#x2014; nicht<lb/>
das Buch &#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;chrieben. Du ha&#x017F;t nichts<lb/>
gelernt, &#x017F;ondern nur mit die&#x017F;em Buch Feuer<lb/>
in deiner Seele angefacht.</p><lb/>
        <p>Mein Vater nahm Gelegenheit die&#x017F;e Sa&#x0364;tze<lb/>
auf Vernunft und Religion anzuwenden<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">K</fw><fw place="bottom" type="catch">Aber</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[143/0151] wird in Wahrheit nur ein kleines noͤthig haben um dem Gelehrteſten gleich zu ſeyn. Der einzige Unterſchied zwiſche einem Gelehrten und Unge- lehrten in der andern Welt wird ſeyn, daß der erſtece mehr vergeſſen muß als der leztere um himmliſch zu wiſſen was er weiß: und was iſt ſchwerer? vergeſſen was man nicht halb nicht ganz wußte, oder gleich die Sache beym rechten Ende faſſen? Der Litteratus (welches in Curland gemeinhin ein gekaufter Tittel iſt) wenn ihm auch dieſes Diplom ſeiner Geſchicklichkeit wegen ohne Geld und gute Worte zugeſtanden werden kann, hat nicht Urſache ſtoltz zu ſeyn, denn der Unwiſſende unterſcheidet ſich vom Wiſſenden blos darinn daß dieſer Sagen Ausſprechen kann, was beide wiſſen, und das erſte Capittel von dem was ſie beide nicht wiſſen. Ein ſchoͤnes Buch das wircklich ſchoͤn iſt, das von Herzen kommt und zu Herzen geht, was meineſt du? haſt du das nicht alles gedacht was drein ſteht. Du haſt nur — eine Kleinigkeit — nicht das Buch ſelbſt geſchrieben. Du haſt nichts gelernt, ſondern nur mit dieſem Buch Feuer in deiner Seele angefacht. Mein Vater nahm Gelegenheit dieſe Saͤtze auf Vernunft und Religion anzuwenden Aber K

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/151
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/151>, abgerufen am 21.11.2024.