Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

liebter, wenns zum Klappen kommt, als das,
was lesen und auch schreiben kann. Das
Schreiben zeigt von Bedachtsamkeit und Be-
ständigkeit. Ein Philosoph will immer schrei-
ben, allein selten kommt er dazu. Ein
Dichter kann sich zur Noth, wo Gott für
sey! auch ohne Schreiben behelfen: Dahero
kommts, daß offt große Dichter unrichtig
buchstabiren. Der größte Philosoph schämt
sich nicht und hats auch wahrlich nicht Ur-
sach, buchstabiren zu können. Er setzt die
Worte, der Dichter wirft sie hin --

Man kann nur füglich im Stehen oder
Sitzen schreiben, und es setzt eine gewiße Be-
dachtsamkeit zum Voraus, welche die Liebe
sehr bey der geliebten Person vergrößert, die
nur geglaubt hatte, es wäre ein Ueberfall.
Die Natur schlägt in der Liebe eine beliebte
Kürze und Einfalt vor. Sie faßt die Frucht
an, reif, ißt sie sie vom Baum -- Die
Kie Kunst hat diesen Weg erweitert, und bald
hätt ich gesagt, verschönert: es kommt auf den
Geschmack an. Die schönsten Früchte von
der Spitze des Baums (welche die Hand nicht
ohne Verlängerungsstange reichen konnte;
der Mund kann gar nicht heran) die schön-

sten
P 3

liebter, wenns zum Klappen kommt, als das,
was leſen und auch ſchreiben kann. Das
Schreiben zeigt von Bedachtſamkeit und Be-
ſtaͤndigkeit. Ein Philoſoph will immer ſchrei-
ben, allein ſelten kommt er dazu. Ein
Dichter kann ſich zur Noth, wo Gott fuͤr
ſey! auch ohne Schreiben behelfen: Dahero
kommts, daß offt große Dichter unrichtig
buchſtabiren. Der groͤßte Philoſoph ſchaͤmt
ſich nicht und hats auch wahrlich nicht Ur-
ſach, buchſtabiren zu koͤnnen. Er ſetzt die
Worte, der Dichter wirft ſie hin —

Man kann nur fuͤglich im Stehen oder
Sitzen ſchreiben, und es ſetzt eine gewiße Be-
dachtſamkeit zum Voraus, welche die Liebe
ſehr bey der geliebten Perſon vergroͤßert, die
nur geglaubt hatte, es waͤre ein Ueberfall.
Die Natur ſchlaͤgt in der Liebe eine beliebte
Kuͤrze und Einfalt vor. Sie faßt die Frucht
an, reif, ißt ſie ſie vom Baum — Die
Kie Kunſt hat dieſen Weg erweitert, und bald
haͤtt ich geſagt, verſchoͤnert: es kommt auf den
Geſchmack an. Die ſchoͤnſten Fruͤchte von
der Spitze des Baums (welche die Hand nicht
ohne Verlaͤngerungsſtange reichen konnte;
der Mund kann gar nicht heran) die ſchoͤn-

ſten
P 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0239" n="227"/>
liebter, wenns zum Klappen kommt, als das,<lb/>
was le&#x017F;en und auch &#x017F;chreiben kann. Das<lb/>
Schreiben zeigt von Bedacht&#x017F;amkeit und Be-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit. Ein Philo&#x017F;oph will immer &#x017F;chrei-<lb/>
ben, allein &#x017F;elten kommt er dazu. Ein<lb/>
Dichter kann &#x017F;ich zur Noth, wo Gott fu&#x0364;r<lb/>
&#x017F;ey! auch ohne Schreiben behelfen: Dahero<lb/>
kommts, daß offt große Dichter unrichtig<lb/>
buch&#x017F;tabiren. Der gro&#x0364;ßte Philo&#x017F;oph &#x017F;cha&#x0364;mt<lb/>
&#x017F;ich nicht und hats auch wahrlich nicht Ur-<lb/>
&#x017F;ach, buch&#x017F;tabiren zu ko&#x0364;nnen. Er &#x017F;etzt die<lb/>
Worte, der Dichter wirft &#x017F;ie hin &#x2014;</p><lb/>
        <p>Man kann nur fu&#x0364;glich im Stehen oder<lb/>
Sitzen &#x017F;chreiben, und es &#x017F;etzt eine gewiße Be-<lb/>
dacht&#x017F;amkeit zum Voraus, welche die Liebe<lb/>
&#x017F;ehr bey der geliebten Per&#x017F;on vergro&#x0364;ßert, die<lb/>
nur geglaubt hatte, es wa&#x0364;re ein Ueberfall.<lb/>
Die Natur &#x017F;chla&#x0364;gt in der Liebe eine beliebte<lb/>
Ku&#x0364;rze und Einfalt vor. Sie faßt die Frucht<lb/>
an, reif, ißt &#x017F;ie &#x017F;ie vom Baum &#x2014; Die<lb/>
Kie Kun&#x017F;t hat die&#x017F;en Weg <hi rendition="#fr">erweitert,</hi> und bald<lb/>
ha&#x0364;tt ich ge&#x017F;agt, <hi rendition="#fr">ver&#x017F;cho&#x0364;nert:</hi> es kommt auf den<lb/>
Ge&#x017F;chmack an. Die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Fru&#x0364;chte von<lb/>
der Spitze des Baums (welche die Hand nicht<lb/>
ohne Verla&#x0364;ngerungs&#x017F;tange reichen konnte;<lb/>
der Mund kann gar nicht heran) die &#x017F;cho&#x0364;n-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">P 3</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ten</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[227/0239] liebter, wenns zum Klappen kommt, als das, was leſen und auch ſchreiben kann. Das Schreiben zeigt von Bedachtſamkeit und Be- ſtaͤndigkeit. Ein Philoſoph will immer ſchrei- ben, allein ſelten kommt er dazu. Ein Dichter kann ſich zur Noth, wo Gott fuͤr ſey! auch ohne Schreiben behelfen: Dahero kommts, daß offt große Dichter unrichtig buchſtabiren. Der groͤßte Philoſoph ſchaͤmt ſich nicht und hats auch wahrlich nicht Ur- ſach, buchſtabiren zu koͤnnen. Er ſetzt die Worte, der Dichter wirft ſie hin — Man kann nur fuͤglich im Stehen oder Sitzen ſchreiben, und es ſetzt eine gewiße Be- dachtſamkeit zum Voraus, welche die Liebe ſehr bey der geliebten Perſon vergroͤßert, die nur geglaubt hatte, es waͤre ein Ueberfall. Die Natur ſchlaͤgt in der Liebe eine beliebte Kuͤrze und Einfalt vor. Sie faßt die Frucht an, reif, ißt ſie ſie vom Baum — Die Kie Kunſt hat dieſen Weg erweitert, und bald haͤtt ich geſagt, verſchoͤnert: es kommt auf den Geſchmack an. Die ſchoͤnſten Fruͤchte von der Spitze des Baums (welche die Hand nicht ohne Verlaͤngerungsſtange reichen konnte; der Mund kann gar nicht heran) die ſchoͤn- ſten P 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/239
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/239>, abgerufen am 21.11.2024.