wolte nicht in der letzten Zeit meines Lebens ausstreichen, was ich die vorige Jahre ge- schrieben, und wie solt ich meinem Glück Zaum und Gebiß in den Mund legen. Ich bin gesund, hab Nahrung und Kleider, und was noch mehr ist, hab ich mich von je her damit begnügen laßen -- In Gottes Hände konnt' ich also nicht fallen; ich mocht's machen wie ich's wollte, was war zu thun? ich gab selbst Gelegenheit, in Menschen Hände zu kommen. Meine Ehegenoßin muß schwei- gen in der Gemeine, und ich schweig in mei- nem Hause.
Es war also, lieber Leser! mein Grosva- ter mütterlicher Seits, wie es scheint, ein christlicher Sokrates, meine Grosmutter aber keine Xantippe, und übrigens eine so ächte Pastorinn, als meine Mutter; nur jede von andrer Art.
Ein Mann soll meine Tochter heirathen, der nicht Schuster und Rademacher werden kann, sagte deine Grosmutter; der aber, sagte dein Vater (im sanften Tone als wenn er auf der Kanzel zu den Bußfertigen redete) der aber Pastor ist. Schlecht genug, schrie sie aus, daß er durch deinen Vorschuß es worden. Ich weiß sehr wol, daß er keinen
Dreyer
wolte nicht in der letzten Zeit meines Lebens ausſtreichen, was ich die vorige Jahre ge- ſchrieben, und wie ſolt ich meinem Gluͤck Zaum und Gebiß in den Mund legen. Ich bin geſund, hab Nahrung und Kleider, und was noch mehr iſt, hab ich mich von je her damit begnuͤgen laßen — In Gottes Haͤnde konnt’ ich alſo nicht fallen; ich mocht’s machen wie ich’s wollte, was war zu thun? ich gab ſelbſt Gelegenheit, in Menſchen Haͤnde zu kommen. Meine Ehegenoßin muß ſchwei- gen in der Gemeine, und ich ſchweig in mei- nem Hauſe.
Es war alſo, lieber Leſer! mein Grosva- ter muͤtterlicher Seits, wie es ſcheint, ein chriſtlicher Sokrates, meine Grosmutter aber keine Xantippe, und uͤbrigens eine ſo aͤchte Paſtorinn, als meine Mutter; nur jede von andrer Art.
Ein Mann ſoll meine Tochter heirathen, der nicht Schuſter und Rademacher werden kann, ſagte deine Grosmutter; der aber, ſagte dein Vater (im ſanften Tone als wenn er auf der Kanzel zu den Bußfertigen redete) der aber Paſtor iſt. Schlecht genug, ſchrie ſie aus, daß er durch deinen Vorſchuß es worden. Ich weiß ſehr wol, daß er keinen
Dreyer
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wolte nicht in der letzten Zeit meines Lebens
ausſtreichen, was ich die vorige Jahre ge-
ſchrieben, und wie ſolt ich meinem Gluͤck
Zaum und Gebiß in den Mund legen. Ich
bin geſund, hab Nahrung und Kleider,
und was noch mehr iſt, hab ich mich von je
her damit begnuͤgen laßen — In Gottes
Haͤnde konnt’ ich alſo nicht fallen; ich mocht’s
machen wie ich’s wollte, was war zu thun?
ich gab ſelbſt Gelegenheit, in Menſchen Haͤnde
zu kommen. Meine Ehegenoßin muß ſchwei-
gen in der Gemeine, und ich ſchweig in mei-
nem Hauſe.
Es war alſo, lieber Leſer! mein Grosva-
ter muͤtterlicher Seits, wie es ſcheint, ein
chriſtlicher Sokrates, meine Grosmutter
aber keine Xantippe, und uͤbrigens eine ſo
aͤchte Paſtorinn, als meine Mutter; nur jede
von andrer Art.
Ein Mann ſoll meine Tochter heirathen,
der nicht Schuſter und Rademacher werden
kann, ſagte deine Grosmutter; der aber, ſagte
dein Vater (im ſanften Tone als wenn er
auf der Kanzel zu den Bußfertigen redete)
der aber Paſtor iſt. Schlecht genug, ſchrie
ſie aus, daß er durch deinen Vorſchuß es
worden. Ich weiß ſehr wol, daß er keinen
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/280>, abgerufen am 24.11.2024.
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