Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite
Vater. Jeder Einfall hat die Natur, daß
er uns in der Erwartung betrügt; im gemei-
nen Leben gehört ein Gesicht dazu, Einfälle
zu sagen. Es giebt Witz, der im Anfang
nicht auffält, allein in der Folge wird man
überrascht, und das ist der regelmäßigste, der
beste. Er gefällt im Nachgeschmack; wir
wußten nicht wohin man uns führte; allein
auf einmal ein schöner Platz. -- Mancher
Witz kommt von vorn, mancher von hinten,
dieser ist englisch, jener französisch. -- Wie
die Seidenzeuge in England und Franckreich;
so auch englischer und französischer Witz. --
Der Engländer hat Baß-, der Franzose Dis-
cantsäyten. Aus einem
englischen Gedancken
macht der Franzos ein halbdutzend. --
Herr v. G. Und der deutsche Witz?
Vater. Noch ist nicht viel von ihm zu
sagen. Er soll aber, wenn uns Gott leben
und gesund läßt,
die Tenorstimme haben,
halb französisch, halb englisch. Witz müßte
des Deutschen Erhohlungsstunde werden;
Gründlichkeit, Ordnung, sein eigentliches
Kopfwerck. Zwischen Einfall und Einsicht
ist ein so großer Unterschied, als zwischen
nachthun und nachmachen, zwischen Form
und Materie, zwischen Ursache und Folgen.
Ein
Vater. Jeder Einfall hat die Natur, daß
er uns in der Erwartung betruͤgt; im gemei-
nen Leben gehoͤrt ein Geſicht dazu, Einfaͤlle
zu ſagen. Es giebt Witz, der im Anfang
nicht auffaͤlt, allein in der Folge wird man
uͤberraſcht, und das iſt der regelmaͤßigſte, der
beſte. Er gefaͤllt im Nachgeſchmack; wir
wußten nicht wohin man uns fuͤhrte; allein
auf einmal ein ſchoͤner Platz. — Mancher
Witz kommt von vorn, mancher von hinten,
dieſer iſt engliſch, jener franzoͤſiſch. — Wie
die Seidenzeuge in England und Franckreich;
ſo auch engliſcher und franzoͤſiſcher Witz. —
Der Englaͤnder hat Baß-, der Franzoſe Diſ-
cantſaͤyten. Aus einem
engliſchen Gedancken
macht der Franzos ein halbdutzend. —
Herr v. G. Und der deutſche Witz?
Vater. Noch iſt nicht viel von ihm zu
ſagen. Er ſoll aber, wenn uns Gott leben
und geſund laͤßt,
die Tenorſtimme haben,
halb franzoͤſiſch, halb engliſch. Witz muͤßte
des Deutſchen Erhohlungsſtunde werden;
Gruͤndlichkeit, Ordnung, ſein eigentliches
Kopfwerck. Zwiſchen Einfall und Einſicht
iſt ein ſo großer Unterſchied, als zwiſchen
nachthun und nachmachen, zwiſchen Form
und Materie, zwiſchen Urſache und Folgen.
Ein
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0398" n="386"/>
          <sp>
            <speaker> <hi rendition="#fr">Vater.</hi> </speaker>
            <p>Jeder Einfall hat die Natur, daß<lb/>
er uns in der Erwartung betru&#x0364;gt; im gemei-<lb/>
nen Leben geho&#x0364;rt ein Ge&#x017F;icht dazu, Einfa&#x0364;lle<lb/>
zu &#x017F;agen. Es giebt Witz, der im Anfang<lb/>
nicht auffa&#x0364;lt, allein in der Folge wird man<lb/>
u&#x0364;berra&#x017F;cht, und das i&#x017F;t der regelma&#x0364;ßig&#x017F;te, der<lb/>
be&#x017F;te. Er gefa&#x0364;llt im Nachge&#x017F;chmack; wir<lb/>
wußten nicht wohin man uns fu&#x0364;hrte; allein<lb/>
auf einmal ein &#x017F;cho&#x0364;ner Platz. &#x2014; Mancher<lb/>
Witz kommt von vorn, mancher von hinten,<lb/>
die&#x017F;er i&#x017F;t engli&#x017F;ch, jener franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;ch. &#x2014; Wie<lb/>
die Seidenzeuge in England und Franckreich;<lb/>
&#x017F;o auch engli&#x017F;cher und franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;cher Witz. &#x2014;<lb/>
Der Engla&#x0364;nder hat <hi rendition="#fr">Baß-,</hi> der Franzo&#x017F;e <hi rendition="#fr">Di&#x017F;-<lb/>
cant&#x017F;a&#x0364;yten. Aus einem</hi> engli&#x017F;chen Gedancken<lb/>
macht der Franzos ein halbdutzend. &#x2014;</p>
          </sp><lb/>
          <sp>
            <speaker> <hi rendition="#fr">Herr v. G.</hi> </speaker>
            <p>Und der deut&#x017F;che Witz?</p>
          </sp><lb/>
          <sp>
            <speaker> <hi rendition="#fr">Vater.</hi> </speaker>
            <p>Noch i&#x017F;t nicht viel von ihm zu<lb/>
&#x017F;agen. Er &#x017F;oll aber, <hi rendition="#fr">wenn uns Gott leben<lb/>
und ge&#x017F;und la&#x0364;ßt,</hi> die Tenor&#x017F;timme haben,<lb/>
halb franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;ch, halb engli&#x017F;ch. Witz mu&#x0364;ßte<lb/>
des Deut&#x017F;chen Erhohlungs&#x017F;tunde werden;<lb/>
Gru&#x0364;ndlichkeit, Ordnung, &#x017F;ein eigentliches<lb/>
Kopfwerck. Zwi&#x017F;chen Einfall und Ein&#x017F;icht<lb/>
i&#x017F;t ein &#x017F;o großer Unter&#x017F;chied, als zwi&#x017F;chen<lb/>
nachthun und nachmachen, zwi&#x017F;chen Form<lb/>
und Materie, zwi&#x017F;chen Ur&#x017F;ache und Folgen.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ein</fw><lb/></p>
          </sp>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[386/0398] Vater. Jeder Einfall hat die Natur, daß er uns in der Erwartung betruͤgt; im gemei- nen Leben gehoͤrt ein Geſicht dazu, Einfaͤlle zu ſagen. Es giebt Witz, der im Anfang nicht auffaͤlt, allein in der Folge wird man uͤberraſcht, und das iſt der regelmaͤßigſte, der beſte. Er gefaͤllt im Nachgeſchmack; wir wußten nicht wohin man uns fuͤhrte; allein auf einmal ein ſchoͤner Platz. — Mancher Witz kommt von vorn, mancher von hinten, dieſer iſt engliſch, jener franzoͤſiſch. — Wie die Seidenzeuge in England und Franckreich; ſo auch engliſcher und franzoͤſiſcher Witz. — Der Englaͤnder hat Baß-, der Franzoſe Diſ- cantſaͤyten. Aus einem engliſchen Gedancken macht der Franzos ein halbdutzend. — Herr v. G. Und der deutſche Witz? Vater. Noch iſt nicht viel von ihm zu ſagen. Er ſoll aber, wenn uns Gott leben und geſund laͤßt, die Tenorſtimme haben, halb franzoͤſiſch, halb engliſch. Witz muͤßte des Deutſchen Erhohlungsſtunde werden; Gruͤndlichkeit, Ordnung, ſein eigentliches Kopfwerck. Zwiſchen Einfall und Einſicht iſt ein ſo großer Unterſchied, als zwiſchen nachthun und nachmachen, zwiſchen Form und Materie, zwiſchen Urſache und Folgen. Ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/398
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/398>, abgerufen am 26.06.2024.