gelingts nicht allen. Prosa behalten sie leich- ter als Verse. Bei andern Leuten ist es um- gekehrt. Man würde behaupten können ein Original müßte wenig Gedächtniß haben, wenn es nicht Leute gäbe, die im Vergessen eben so stark als im Faßen sind. Faßen und behalten wird im gemeinen Leben für eins ge- nommen; allein ganz unrichtig. Ein jeder Originalkopf muß schnell faßen und schnell vergeßen. Etwas bleibt zurück und nur eben so viel als nötig ist um nicht blos Abschrei- ber, Copist zu seyn. Ein Grosmaul hat ein behaltendes, ein Kopf ein faßendes Ge- dächtnis. Wer viel plaudert kann auch viel behalten, ein guter Kopf kann nur viel erzäh- len, wenn er trunken oder verliebt ist: Er darf sich indessen beides nur einbilden, zu seyn. Wenn ein Poet nicht gut faßt, kommt's oft daher weil er sehen und hören kann und zwar mit Augen und Ohren des Genies und auch dieser Umstand trägt sein Theil bei, daß er so leicht vergißt. Er kann nichts lesen und hören, was er nicht so gleich mit dem Seinigen bereichert. Er verzinset oft einen Gedanken mit funfzig Procent, oft mit mehr. Er weiß beständig viel, nur nicht immer was andere wissen. Wer Jahrzah-
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gelingts nicht allen. Proſa behalten ſie leich- ter als Verſe. Bei andern Leuten iſt es um- gekehrt. Man wuͤrde behaupten koͤnnen ein Original muͤßte wenig Gedaͤchtniß haben, wenn es nicht Leute gaͤbe, die im Vergeſſen eben ſo ſtark als im Faßen ſind. Faßen und behalten wird im gemeinen Leben fuͤr eins ge- nommen; allein ganz unrichtig. Ein jeder Originalkopf muß ſchnell faßen und ſchnell vergeßen. Etwas bleibt zuruͤck und nur eben ſo viel als noͤtig iſt um nicht blos Abſchrei- ber, Copiſt zu ſeyn. Ein Grosmaul hat ein behaltendes, ein Kopf ein faßendes Ge- daͤchtnis. Wer viel plaudert kann auch viel behalten, ein guter Kopf kann nur viel erzaͤh- len, wenn er trunken oder verliebt iſt: Er darf ſich indeſſen beides nur einbilden, zu ſeyn. Wenn ein Poet nicht gut faßt, kommt’s oft daher weil er ſehen und hoͤren kann und zwar mit Augen und Ohren des Genies und auch dieſer Umſtand traͤgt ſein Theil bei, daß er ſo leicht vergißt. Er kann nichts leſen und hoͤren, was er nicht ſo gleich mit dem Seinigen bereichert. Er verzinſet oft einen Gedanken mit funfzig Procent, oft mit mehr. Er weiß beſtaͤndig viel, nur nicht immer was andere wiſſen. Wer Jahrzah-
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gelingts nicht allen. Proſa behalten ſie leich-
ter als Verſe. Bei andern Leuten iſt es um-
gekehrt. Man wuͤrde behaupten koͤnnen ein
Original muͤßte wenig Gedaͤchtniß haben,
wenn es nicht Leute gaͤbe, die im Vergeſſen
eben ſo ſtark als im Faßen ſind. Faßen und
behalten wird im gemeinen Leben fuͤr eins ge-
nommen; allein ganz unrichtig. Ein jeder
Originalkopf muß ſchnell faßen und ſchnell
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ſo viel als noͤtig iſt um nicht blos Abſchrei-
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ein behaltendes, ein Kopf ein faßendes Ge-
daͤchtnis. Wer viel plaudert kann auch viel
behalten, ein guter Kopf kann nur viel erzaͤh-
len, wenn er trunken oder verliebt iſt: Er
darf ſich indeſſen beides nur einbilden, zu ſeyn.
Wenn ein Poet nicht gut faßt, kommt’s oft
daher weil er ſehen und hoͤren kann und
zwar mit Augen und Ohren des Genies und
auch dieſer Umſtand traͤgt ſein Theil bei, daß
er ſo leicht vergißt. Er kann nichts leſen
und hoͤren, was er nicht ſo gleich mit dem
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/43>, abgerufen am 21.11.2024.
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