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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

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Leser jammern. Er lies eine Thräne in den
Wein fallen, die er lange gesammlet hatte. --
"Diese heilige Thräne" fing er an, Aller-
seits Hochwohlgebohrne, Wohl-Ehr-
würdiger und Hoch-Edler, Hoch- und
Werthgeschätzte Herren und Freunde,

diese heilige Thräne" mehr erlaubt' ihm
die Wehmuth nicht. -- Da man einsahe,
daß Herr v. W -- kein Wort mehr in sei-
ner Gewalt hatte, fing mein Vater an: --
Pastor. Wer allein trinckt, schämt sich.
Wer in Gesellschaft trincket, stärckt sein Le-
ben. -- Wir bringen uns durch den Trunck
in Norden in ein beßeres wärmeres Clima.
Wir sind im Geist in dem Lande, wo der Wein
gewachsen ist, den wir trincken: Brandwein
macht heimlich, Bier schwer, Wein gesellig --
Herr v. G. Im Weine ist Wahrheit.
Pastor. Das Temperament nicht, aber
die Gesinnung kann man durch den Trunck
beym Menschen erkennen -- allein auch das
Eßen verändert den Menschen, und öfnet
verborgene Kammern. Leute, die sich im
Trincken für Spionen hüten, sind nur auf
einer Seite gedeckt, Ist der Mensch truncken,
so ist er schwach, und das ist Glück für ihn,
sonst würd er seinen Phantasien nachlaufen,
und
Leſer jammern. Er lies eine Thraͤne in den
Wein fallen, die er lange geſammlet hatte. —
„Dieſe heilige Thraͤne„ fing er an, Aller-
ſeits Hochwohlgebohrne, Wohl-Ehr-
wuͤrdiger und Hoch-Edler, Hoch- und
Werthgeſchaͤtzte Herren und Freunde,

dieſe heilige Thraͤne„ mehr erlaubt’ ihm
die Wehmuth nicht. — Da man einſahe,
daß Herr v. W — kein Wort mehr in ſei-
ner Gewalt hatte, fing mein Vater an: —
Paſtor. Wer allein trinckt, ſchaͤmt ſich.
Wer in Geſellſchaft trincket, ſtaͤrckt ſein Le-
ben. — Wir bringen uns durch den Trunck
in Norden in ein beßeres waͤrmeres Clima.
Wir ſind im Geiſt in dem Lande, wo der Wein
gewachſen iſt, den wir trincken: Brandwein
macht heimlich, Bier ſchwer, Wein geſellig —
Herr v. G. Im Weine iſt Wahrheit.
Paſtor. Das Temperament nicht, aber
die Geſinnung kann man durch den Trunck
beym Menſchen erkennen — allein auch das
Eßen veraͤndert den Menſchen, und oͤfnet
verborgene Kammern. Leute, die ſich im
Trincken fuͤr Spionen huͤten, ſind nur auf
einer Seite gedeckt, Iſt der Menſch truncken,
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[496/0510] Leſer jammern. Er lies eine Thraͤne in den Wein fallen, die er lange geſammlet hatte. — „Dieſe heilige Thraͤne„ fing er an, Aller- ſeits Hochwohlgebohrne, Wohl-Ehr- wuͤrdiger und Hoch-Edler, Hoch- und Werthgeſchaͤtzte Herren und Freunde, dieſe heilige Thraͤne„ mehr erlaubt’ ihm die Wehmuth nicht. — Da man einſahe, daß Herr v. W — kein Wort mehr in ſei- ner Gewalt hatte, fing mein Vater an: — Paſtor. Wer allein trinckt, ſchaͤmt ſich. Wer in Geſellſchaft trincket, ſtaͤrckt ſein Le- ben. — Wir bringen uns durch den Trunck in Norden in ein beßeres waͤrmeres Clima. Wir ſind im Geiſt in dem Lande, wo der Wein gewachſen iſt, den wir trincken: Brandwein macht heimlich, Bier ſchwer, Wein geſellig — Herr v. G. Im Weine iſt Wahrheit. Paſtor. Das Temperament nicht, aber die Geſinnung kann man durch den Trunck beym Menſchen erkennen — allein auch das Eßen veraͤndert den Menſchen, und oͤfnet verborgene Kammern. Leute, die ſich im Trincken fuͤr Spionen huͤten, ſind nur auf einer Seite gedeckt, Iſt der Menſch truncken, ſo iſt er ſchwach, und das iſt Gluͤck fuͤr ihn, ſonſt wuͤrd er ſeinen Phantaſien nachlaufen, und

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 496. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/510>, abgerufen am 21.11.2024.