Man hätte glauben sollen, das Gewißen hätte beym guten Pfarrer wegen seiner Er- klärung der Wort': und für, diese Reihe mitgesungen; allein ich versichr' auf Ehre, das Gewißen gab seine Stimme nicht dazu. -- Beynahe möcht' ich das Gewißen auf ein Haar kennen, wenn es mitsingt. -- Es hält selten Melodie, singt lahm und so, als dürft' es nicht. --
Schriebe meine Mutter dies Buch, sie hätte von diesem Liede keinen Buchstab aus- gelassen; indessen will ich einigen meiner Le- fer diesen Gefallen thun. --
Die ganze Gemeine, o Gott! wie in- brünstig sang sie diese Zeilen:
Lieber heute noch als morgen, denn ich werd' einst auferstehn! ich verzeih' es gern der Welt, daß sie alles hier behält, und bescheide meinen Erben einen Gott! -- der wird nicht sterben!
Vorzüglich fiel mir ein alter Mann bey die- ser Stell' auf, der ohnfehlbar nicht mehr Träger wegen seiner sehr hohen Jahre seyn konnte, und sich in einem etwas finstern Kir- chenwinkel aufgestützt hatte. -- Ich hätte mich nicht enthalten können, diesem aufge-
stütz-
Man haͤtte glauben ſollen, das Gewißen haͤtte beym guten Pfarrer wegen ſeiner Er- klaͤrung der Wort’: und fuͤr, dieſe Reihe mitgeſungen; allein ich verſichr’ auf Ehre, das Gewißen gab ſeine Stimme nicht dazu. — Beynahe moͤcht’ ich das Gewißen auf ein Haar kennen, wenn es mitſingt. — Es haͤlt ſelten Melodie, ſingt lahm und ſo, als duͤrft’ es nicht. —
Schriebe meine Mutter dies Buch, ſie haͤtte von dieſem Liede keinen Buchſtab aus- gelaſſen; indeſſen will ich einigen meiner Le- fer dieſen Gefallen thun. —
Die ganze Gemeine, o Gott! wie in- bruͤnſtig ſang ſie dieſe Zeilen:
Lieber heute noch als morgen, denn ich werd’ einſt auferſtehn! ich verzeih’ es gern der Welt, daß ſie alles hier behält, und beſcheide meinen Erben einen Gott! — der wird nicht ſterben!
Vorzuͤglich fiel mir ein alter Mann bey die- ſer Stell’ auf, der ohnfehlbar nicht mehr Traͤger wegen ſeiner ſehr hohen Jahre ſeyn konnte, und ſich in einem etwas finſtern Kir- chenwinkel aufgeſtuͤtzt hatte. — Ich haͤtte mich nicht enthalten koͤnnen, dieſem aufge-
ſtuͤtz-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0206"n="198"/><p>Man haͤtte glauben ſollen, das Gewißen<lb/>
haͤtte beym guten Pfarrer wegen ſeiner Er-<lb/>
klaͤrung der Wort’: <hirendition="#fr">und fuͤr,</hi> dieſe Reihe<lb/>
mitgeſungen; allein ich verſichr’ auf Ehre,<lb/>
das Gewißen gab ſeine Stimme nicht dazu.<lb/>— Beynahe moͤcht’ ich das Gewißen auf ein<lb/>
Haar kennen, wenn es mitſingt. — Es<lb/>
haͤlt ſelten Melodie, ſingt lahm und ſo, als<lb/>
duͤrft’ es nicht. —</p><lb/><p>Schriebe meine Mutter dies Buch, ſie<lb/>
haͤtte von dieſem Liede keinen Buchſtab aus-<lb/>
gelaſſen; indeſſen will ich einigen meiner Le-<lb/>
fer dieſen Gefallen thun. —</p><lb/><p>Die ganze Gemeine, o Gott! wie in-<lb/>
bruͤnſtig ſang ſie dieſe Zeilen:</p><lb/><lgtype="poem"><l>Lieber heute noch als morgen,</l><lb/><l>denn ich werd’ einſt auferſtehn!</l><lb/><l>ich verzeih’ es gern <hirendition="#fr">der Welt</hi>,</l><lb/><l>daß ſie alles <hirendition="#fr">hier behält</hi>,</l><lb/><l>und beſcheide meinen Erben</l><lb/><l>einen Gott! — der wird nicht ſterben!</l></lg><lb/><p>Vorzuͤglich fiel mir ein alter Mann bey die-<lb/>ſer Stell’ auf, der ohnfehlbar nicht mehr<lb/>
Traͤger wegen ſeiner ſehr hohen Jahre ſeyn<lb/>
konnte, und ſich in einem etwas finſtern Kir-<lb/>
chenwinkel aufgeſtuͤtzt hatte. — Ich haͤtte<lb/>
mich nicht enthalten koͤnnen, dieſem aufge-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſtuͤtz-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[198/0206]
Man haͤtte glauben ſollen, das Gewißen
haͤtte beym guten Pfarrer wegen ſeiner Er-
klaͤrung der Wort’: und fuͤr, dieſe Reihe
mitgeſungen; allein ich verſichr’ auf Ehre,
das Gewißen gab ſeine Stimme nicht dazu.
— Beynahe moͤcht’ ich das Gewißen auf ein
Haar kennen, wenn es mitſingt. — Es
haͤlt ſelten Melodie, ſingt lahm und ſo, als
duͤrft’ es nicht. —
Schriebe meine Mutter dies Buch, ſie
haͤtte von dieſem Liede keinen Buchſtab aus-
gelaſſen; indeſſen will ich einigen meiner Le-
fer dieſen Gefallen thun. —
Die ganze Gemeine, o Gott! wie in-
bruͤnſtig ſang ſie dieſe Zeilen:
Lieber heute noch als morgen,
denn ich werd’ einſt auferſtehn!
ich verzeih’ es gern der Welt,
daß ſie alles hier behält,
und beſcheide meinen Erben
einen Gott! — der wird nicht ſterben!
Vorzuͤglich fiel mir ein alter Mann bey die-
ſer Stell’ auf, der ohnfehlbar nicht mehr
Traͤger wegen ſeiner ſehr hohen Jahre ſeyn
konnte, und ſich in einem etwas finſtern Kir-
chenwinkel aufgeſtuͤtzt hatte. — Ich haͤtte
mich nicht enthalten koͤnnen, dieſem aufge-
ſtuͤtz-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/206>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.