Die Nachtigal kann lauter seyn, als ich, denn sie hat keine Mutter zu fürchten, und keine Grete, ich darf nicht schreyen, aber du wirst doch wohl so eine deutliche Ausred, als die Nachtigalsche verstehen? Wo bleibst du, mein Hannchen, wo? All Augenblick denk' ich, da! da ist sie! und immer ist ein Vögelchen, eins schöner als das andre -- keins so schön, wie du. Wenn du nicht mich, nicht den Abend, nicht die Nachtigal hören kannst; o! wenn du taub über taub bist, hör' den lieben Gott, du hast mir ver- sprochen zu kommen, und kommst nicht. Weißt du auch, daß wir auf die Nacht Ungewitter haben? wo bleibst du, wo? Hanne? wo?
Warum weinst du, Schwägerin, du hast einen Mann verloren; allein er hat dir drey zurückgelassen. Drey Söhne, drey ge- sunde starke Jungens, die dich auf ihren Hän- den tragen, drey brave Jungens, die was tragen können. Gönn' ihm die Ruhe, seine Krankheit ließ ihn nicht viel schlafen, da er älter war, und in der Jugend ließ es die Ar- beit nicht. Er hat in dieser Welt nicht viel geschlafen. Gönn' ihm den tiefen, süssen Schlaf, du hast drey Söhne, laß ihn aus- schlafen, Schwägerin, weine nicht!
Was
Die Nachtigal kann lauter ſeyn, als ich, denn ſie hat keine Mutter zu fuͤrchten, und keine Grete, ich darf nicht ſchreyen, aber du wirſt doch wohl ſo eine deutliche Ausred, als die Nachtigalſche verſtehen? Wo bleibſt du, mein Hannchen, wo? All Augenblick denk’ ich, da! da iſt ſie! und immer iſt ein Voͤgelchen, eins ſchoͤner als das andre — keins ſo ſchoͤn, wie du. Wenn du nicht mich, nicht den Abend, nicht die Nachtigal hoͤren kannſt; o! wenn du taub uͤber taub biſt, hoͤr’ den lieben Gott, du haſt mir ver- ſprochen zu kommen, und kommſt nicht. Weißt du auch, daß wir auf die Nacht Ungewitter haben? wo bleibſt du, wo? Hanne? wo?
Warum weinſt du, Schwaͤgerin, du haſt einen Mann verloren; allein er hat dir drey zuruͤckgelaſſen. Drey Soͤhne, drey ge- ſunde ſtarke Jungens, die dich auf ihren Haͤn- den tragen, drey brave Jungens, die was tragen koͤnnen. Goͤnn’ ihm die Ruhe, ſeine Krankheit ließ ihn nicht viel ſchlafen, da er aͤlter war, und in der Jugend ließ es die Ar- beit nicht. Er hat in dieſer Welt nicht viel geſchlafen. Goͤnn’ ihm den tiefen, ſuͤſſen Schlaf, du haſt drey Soͤhne, laß ihn aus- ſchlafen, Schwaͤgerin, weine nicht!
Was
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Die Nachtigal kann lauter ſeyn, als ich, denn
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doch wohl ſo eine deutliche Ausred, als die
Nachtigalſche verſtehen? Wo bleibſt du, mein
Hannchen, wo? All Augenblick denk’ ich, da!
da iſt ſie! und immer iſt ein Voͤgelchen, eins
ſchoͤner als das andre — keins ſo ſchoͤn, wie du.
Wenn du nicht mich, nicht den Abend, nicht die
Nachtigal hoͤren kannſt; o! wenn du taub uͤber
taub biſt, hoͤr’ den lieben Gott, du haſt mir ver-
ſprochen zu kommen, und kommſt nicht. Weißt
du auch, daß wir auf die Nacht Ungewitter
haben? wo bleibſt du, wo? Hanne? wo?
Warum weinſt du, Schwaͤgerin, du haſt
einen Mann verloren; allein er hat dir
drey zuruͤckgelaſſen. Drey Soͤhne, drey ge-
ſunde ſtarke Jungens, die dich auf ihren Haͤn-
den tragen, drey brave Jungens, die was
tragen koͤnnen. Goͤnn’ ihm die Ruhe, ſeine
Krankheit ließ ihn nicht viel ſchlafen, da er
aͤlter war, und in der Jugend ließ es die Ar-
beit nicht. Er hat in dieſer Welt nicht viel
geſchlafen. Goͤnn’ ihm den tiefen, ſuͤſſen
Schlaf, du haſt drey Soͤhne, laß ihn aus-
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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 578. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/590>, abgerufen am 22.11.2024.
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