Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

tern und mit Beben, und Lycurgus? gab ihm
die seinige, und so giengen sie Hand in
Hand -- in Lycurgus Haus, wo er ihn un-
terrichtete, nicht, wie arme Sünder, ehe sie
hingerichtet werden, den Schlachtcalekutschen
Hähnen gleich, mit Catechismuslehren ge-
füttert und gemästet werden, sondern in Le-
bensregeln, und da der junge Mensch Candi-
dat worden war, stellte er ihn vor das Crimi-
nalgericht und fragte dienstlichst an: ob sie
mit diesem in Rechtskraft übergegangenen
Urtel zufrieden wären? Kunstrichter, der
Graf bietet dir auch die Hand dar, um dich
sterben zu lehren. Bedenke das Ende, so
wirst du dem Grafen kein Aug' ausschlagen. --

Gretchen empfieng mich so froh, so gut-
thätig, daß wir uns beyde Hände reichten.
Zwar weiß ich es nicht mit vollständiger Ge-
wisheit; indessen kommt es mir so vor, daß
wir uns auch herzlich geküßt haben! -- Ein
unschuldiger Kuß! Wär' er wiederhohlt wor-
den, hätt' ich ihn vielleicht nicht vergessen;
alsdenn wär er aber auch schon vom verbot-
nen Baume gewesen. --

Auf Gretchens Gesicht lag noch viel
Schmerz; indessen waren es bloß Narben,

welche

tern und mit Beben, und Lycurgus? gab ihm
die ſeinige, und ſo giengen ſie Hand in
Hand — in Lycurgus Haus, wo er ihn un-
terrichtete, nicht, wie arme Suͤnder, ehe ſie
hingerichtet werden, den Schlachtcalekutſchen
Haͤhnen gleich, mit Catechismuslehren ge-
fuͤttert und gemaͤſtet werden, ſondern in Le-
bensregeln, und da der junge Menſch Candi-
dat worden war, ſtellte er ihn vor das Crimi-
nalgericht und fragte dienſtlichſt an: ob ſie
mit dieſem in Rechtskraft uͤbergegangenen
Urtel zufrieden waͤren? Kunſtrichter, der
Graf bietet dir auch die Hand dar, um dich
ſterben zu lehren. Bedenke das Ende, ſo
wirſt du dem Grafen kein Aug’ ausſchlagen. —

Gretchen empfieng mich ſo froh, ſo gut-
thaͤtig, daß wir uns beyde Haͤnde reichten.
Zwar weiß ich es nicht mit vollſtaͤndiger Ge-
wisheit; indeſſen kommt es mir ſo vor, daß
wir uns auch herzlich gekuͤßt haben! — Ein
unſchuldiger Kuß! Waͤr’ er wiederhohlt wor-
den, haͤtt’ ich ihn vielleicht nicht vergeſſen;
alsdenn waͤr er aber auch ſchon vom verbot-
nen Baume geweſen. —

Auf Gretchens Geſicht lag noch viel
Schmerz; indeſſen waren es bloß Narben,

welche
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0250" n="244"/>
tern und mit Beben, und Lycurgus? gab ihm<lb/>
die &#x017F;einige, und &#x017F;o giengen &#x017F;ie Hand in<lb/>
Hand &#x2014; in Lycurgus Haus, wo er ihn un-<lb/>
terrichtete, nicht, wie arme Su&#x0364;nder, ehe &#x017F;ie<lb/>
hingerichtet werden, den Schlachtcalekut&#x017F;chen<lb/>
Ha&#x0364;hnen gleich, mit Catechismuslehren ge-<lb/>
fu&#x0364;ttert und gema&#x0364;&#x017F;tet werden, &#x017F;ondern in Le-<lb/>
bensregeln, und da der junge Men&#x017F;ch Candi-<lb/>
dat worden war, &#x017F;tellte er ihn vor das Crimi-<lb/>
nalgericht und fragte dien&#x017F;tlich&#x017F;t an: ob &#x017F;ie<lb/>
mit die&#x017F;em in Rechtskraft u&#x0364;bergegangenen<lb/>
Urtel zufrieden wa&#x0364;ren? Kun&#x017F;trichter, der<lb/>
Graf bietet dir auch die Hand dar, um dich<lb/>
&#x017F;terben zu lehren. Bedenke das Ende, &#x017F;o<lb/>
wir&#x017F;t du dem Grafen kein Aug&#x2019; aus&#x017F;chlagen. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Gretchen empfieng mich &#x017F;o froh, &#x017F;o gut-<lb/>
tha&#x0364;tig, daß wir uns beyde Ha&#x0364;nde reichten.<lb/>
Zwar weiß ich es nicht mit voll&#x017F;ta&#x0364;ndiger Ge-<lb/>
wisheit; inde&#x017F;&#x017F;en kommt es mir &#x017F;o vor, daß<lb/>
wir uns auch herzlich geku&#x0364;ßt haben! &#x2014; Ein<lb/>
un&#x017F;chuldiger Kuß! Wa&#x0364;r&#x2019; er wiederhohlt wor-<lb/>
den, ha&#x0364;tt&#x2019; ich ihn vielleicht nicht verge&#x017F;&#x017F;en;<lb/>
alsdenn wa&#x0364;r er aber auch &#x017F;chon vom verbot-<lb/>
nen Baume gewe&#x017F;en. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Auf Gretchens Ge&#x017F;icht lag noch viel<lb/>
Schmerz; inde&#x017F;&#x017F;en waren es bloß Narben,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">welche</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[244/0250] tern und mit Beben, und Lycurgus? gab ihm die ſeinige, und ſo giengen ſie Hand in Hand — in Lycurgus Haus, wo er ihn un- terrichtete, nicht, wie arme Suͤnder, ehe ſie hingerichtet werden, den Schlachtcalekutſchen Haͤhnen gleich, mit Catechismuslehren ge- fuͤttert und gemaͤſtet werden, ſondern in Le- bensregeln, und da der junge Menſch Candi- dat worden war, ſtellte er ihn vor das Crimi- nalgericht und fragte dienſtlichſt an: ob ſie mit dieſem in Rechtskraft uͤbergegangenen Urtel zufrieden waͤren? Kunſtrichter, der Graf bietet dir auch die Hand dar, um dich ſterben zu lehren. Bedenke das Ende, ſo wirſt du dem Grafen kein Aug’ ausſchlagen. — Gretchen empfieng mich ſo froh, ſo gut- thaͤtig, daß wir uns beyde Haͤnde reichten. Zwar weiß ich es nicht mit vollſtaͤndiger Ge- wisheit; indeſſen kommt es mir ſo vor, daß wir uns auch herzlich gekuͤßt haben! — Ein unſchuldiger Kuß! Waͤr’ er wiederhohlt wor- den, haͤtt’ ich ihn vielleicht nicht vergeſſen; alsdenn waͤr er aber auch ſchon vom verbot- nen Baume geweſen. — Auf Gretchens Geſicht lag noch viel Schmerz; indeſſen waren es bloß Narben, welche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/250
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/250>, abgerufen am 21.11.2024.