Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Sachen meiner Mine methodisch extradiren,
gab Gretchen eine Abschrift des lezten Wil-
lens meines seligen Weibes, weil Gretchen
mich darum bat. Grethe erhielt dies Anden-
ken auf Minens Grabe. Wir weinten beyde
bey dieser Gelegenheit. Freunde, wenn alle
Contrakte, alle Verabredungen auf Gräbern,
an diesem Altar der Natur, geschloßen wür-
den, was meynt ihr? Ich liebte Gretchen
nicht; allein ich liebte ihren Schmerz um
Minen, und fand, daß es tief in unserer Na-
tur läge, wenn man was liebes verlohren,
sich sogleich mit was Lieben zu verehelichen.
Einer Wittwe, einem Wittwer, ist vielleicht
die zweyte Ehe, in den ersten sechs Wochen
noch am ersten zu vergeben. Gretchens Mut-
ter wolte, das sah man, daß Gretchen meine
Mine würde. Gretchen selbst verlangte feyer-
lichst von mir, daß ich wenigstens (auf dies
wenigstens der Ton) noch einmahl (auf noch
einmahl
wieder) nach L -- kommen möchte,
ehe ich von hinnen zöge. Des Grabes wegen,
setzte sie mit einem Seufzer hinzu, der mir
durch die Seele gieng. Der Prediger dachte
an weiter nichts, als an seine Abhandlung
von der Sünde wider den heiligen Geist.

Lieben

Sachen meiner Mine methodiſch extradiren,
gab Gretchen eine Abſchrift des lezten Wil-
lens meines ſeligen Weibes, weil Gretchen
mich darum bat. Grethe erhielt dies Anden-
ken auf Minens Grabe. Wir weinten beyde
bey dieſer Gelegenheit. Freunde, wenn alle
Contrakte, alle Verabredungen auf Graͤbern,
an dieſem Altar der Natur, geſchloßen wuͤr-
den, was meynt ihr? Ich liebte Gretchen
nicht; allein ich liebte ihren Schmerz um
Minen, und fand, daß es tief in unſerer Na-
tur laͤge, wenn man was liebes verlohren,
ſich ſogleich mit was Lieben zu verehelichen.
Einer Wittwe, einem Wittwer, iſt vielleicht
die zweyte Ehe, in den erſten ſechs Wochen
noch am erſten zu vergeben. Gretchens Mut-
ter wolte, das ſah man, daß Gretchen meine
Mine wuͤrde. Gretchen ſelbſt verlangte feyer-
lichſt von mir, daß ich wenigſtens (auf dies
wenigſtens der Ton) noch einmahl (auf noch
einmahl
wieder) nach L — kommen moͤchte,
ehe ich von hinnen zoͤge. Des Grabes wegen,
ſetzte ſie mit einem Seufzer hinzu, der mir
durch die Seele gieng. Der Prediger dachte
an weiter nichts, als an ſeine Abhandlung
von der Suͤnde wider den heiligen Geiſt.

Lieben
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0256" n="250"/>
Sachen meiner Mine methodi&#x017F;ch extradiren,<lb/>
gab Gretchen eine Ab&#x017F;chrift des lezten Wil-<lb/>
lens meines &#x017F;eligen Weibes, weil Gretchen<lb/>
mich darum bat. Grethe erhielt dies Anden-<lb/>
ken auf Minens Grabe. Wir weinten beyde<lb/>
bey die&#x017F;er Gelegenheit. Freunde, wenn alle<lb/>
Contrakte, alle Verabredungen auf Gra&#x0364;bern,<lb/>
an die&#x017F;em Altar der Natur, ge&#x017F;chloßen wu&#x0364;r-<lb/>
den, was meynt ihr? Ich liebte Gretchen<lb/>
nicht; allein ich liebte ihren Schmerz um<lb/>
Minen, und fand, daß es tief in un&#x017F;erer Na-<lb/>
tur la&#x0364;ge, wenn man was liebes verlohren,<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;ogleich mit was Lieben zu verehelichen.<lb/>
Einer Wittwe, einem Wittwer, i&#x017F;t vielleicht<lb/>
die zweyte Ehe, in den er&#x017F;ten &#x017F;echs Wochen<lb/>
noch am er&#x017F;ten zu vergeben. Gretchens Mut-<lb/>
ter wolte, das &#x017F;ah man, daß Gretchen meine<lb/>
Mine wu&#x0364;rde. Gretchen &#x017F;elb&#x017F;t verlangte feyer-<lb/>
lich&#x017F;t von mir, daß ich wenig&#x017F;tens (auf dies<lb/><hi rendition="#fr">wenig&#x017F;tens</hi> der Ton) noch einmahl (auf <hi rendition="#fr">noch<lb/>
einmahl</hi> wieder) nach L &#x2014; kommen mo&#x0364;chte,<lb/>
ehe ich von hinnen zo&#x0364;ge. Des Grabes wegen,<lb/>
&#x017F;etzte &#x017F;ie mit einem Seufzer hinzu, der mir<lb/>
durch die Seele gieng. Der Prediger dachte<lb/>
an weiter nichts, als an &#x017F;eine Abhandlung<lb/>
von der Su&#x0364;nde wider den heiligen Gei&#x017F;t.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Lieben</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[250/0256] Sachen meiner Mine methodiſch extradiren, gab Gretchen eine Abſchrift des lezten Wil- lens meines ſeligen Weibes, weil Gretchen mich darum bat. Grethe erhielt dies Anden- ken auf Minens Grabe. Wir weinten beyde bey dieſer Gelegenheit. Freunde, wenn alle Contrakte, alle Verabredungen auf Graͤbern, an dieſem Altar der Natur, geſchloßen wuͤr- den, was meynt ihr? Ich liebte Gretchen nicht; allein ich liebte ihren Schmerz um Minen, und fand, daß es tief in unſerer Na- tur laͤge, wenn man was liebes verlohren, ſich ſogleich mit was Lieben zu verehelichen. Einer Wittwe, einem Wittwer, iſt vielleicht die zweyte Ehe, in den erſten ſechs Wochen noch am erſten zu vergeben. Gretchens Mut- ter wolte, das ſah man, daß Gretchen meine Mine wuͤrde. Gretchen ſelbſt verlangte feyer- lichſt von mir, daß ich wenigſtens (auf dies wenigſtens der Ton) noch einmahl (auf noch einmahl wieder) nach L — kommen moͤchte, ehe ich von hinnen zoͤge. Des Grabes wegen, ſetzte ſie mit einem Seufzer hinzu, der mir durch die Seele gieng. Der Prediger dachte an weiter nichts, als an ſeine Abhandlung von der Suͤnde wider den heiligen Geiſt. Lieben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/256
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/256>, abgerufen am 23.11.2024.