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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781.

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wir: die Mittelstraße die beste, und wanken
doch so gern. Warum?

Bey dem Mittelmäßigen fällt es mir ein,
daß wir den dritten Tag viel von der Schön-
heit sprachen. Nathanael that sich bey dieser
Unterredung recht sichtlich hervor. Er setzte
die gröste Schönheit in der Mitte zwischen
Feistigkeit und Magerheit, obgleich er selbst
mehr fett, als mager war. Gretchen aber
dient' ihm zum Exempel, seine Regel zu be-
weisen, und außer ihr alle Statüen der Alten.
Ich muß es doch wohl wißen, sagte Natha-
nael. Der Amtmann, der seinem Bauche
nichts vergeben wollte, fand indessen dies
lezte Argument unwiderlegbar, schlug sich
auf seine Bauchbürde, sah Gretchen an, und
schwieg. --

Nathanael lies nicht ab, mich zur Heim-
führung einzuladen; allein meine Stunde war
kommen. Ans wenn? war gar nicht weiter
beym Justitzrath zu denken. Diesen Abend
weihet' ich noch Minens Grabe, nahm von
Nathanael und Gretchen das feyerliche Ver-
sprechen, dieses Grabes Beschützer zu seyn,
und nun wollt ich L -- (allem Vermuthen nach
auf ewig) gute Nacht sagen. Die Predigerin
macht' es mir zur Pflicht, daß ich, wenn ich

bey
Z 2

wir: die Mittelſtraße die beſte, und wanken
doch ſo gern. Warum?

Bey dem Mittelmaͤßigen faͤllt es mir ein,
daß wir den dritten Tag viel von der Schoͤn-
heit ſprachen. Nathanael that ſich bey dieſer
Unterredung recht ſichtlich hervor. Er ſetzte
die groͤſte Schoͤnheit in der Mitte zwiſchen
Feiſtigkeit und Magerheit, obgleich er ſelbſt
mehr fett, als mager war. Gretchen aber
dient’ ihm zum Exempel, ſeine Regel zu be-
weiſen, und außer ihr alle Statuͤen der Alten.
Ich muß es doch wohl wißen, ſagte Natha-
nael. Der Amtmann, der ſeinem Bauche
nichts vergeben wollte, fand indeſſen dies
lezte Argument unwiderlegbar, ſchlug ſich
auf ſeine Bauchbuͤrde, ſah Gretchen an, und
ſchwieg. —

Nathanael lies nicht ab, mich zur Heim-
fuͤhrung einzuladen; allein meine Stunde war
kommen. Ans wenn? war gar nicht weiter
beym Juſtitzrath zu denken. Dieſen Abend
weihet’ ich noch Minens Grabe, nahm von
Nathanael und Gretchen das feyerliche Ver-
ſprechen, dieſes Grabes Beſchuͤtzer zu ſeyn,
und nun wollt ich L — (allem Vermuthen nach
auf ewig) gute Nacht ſagen. Die Predigerin
macht’ es mir zur Pflicht, daß ich, wenn ich

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[355/0361] wir: die Mittelſtraße die beſte, und wanken doch ſo gern. Warum? Bey dem Mittelmaͤßigen faͤllt es mir ein, daß wir den dritten Tag viel von der Schoͤn- heit ſprachen. Nathanael that ſich bey dieſer Unterredung recht ſichtlich hervor. Er ſetzte die groͤſte Schoͤnheit in der Mitte zwiſchen Feiſtigkeit und Magerheit, obgleich er ſelbſt mehr fett, als mager war. Gretchen aber dient’ ihm zum Exempel, ſeine Regel zu be- weiſen, und außer ihr alle Statuͤen der Alten. Ich muß es doch wohl wißen, ſagte Natha- nael. Der Amtmann, der ſeinem Bauche nichts vergeben wollte, fand indeſſen dies lezte Argument unwiderlegbar, ſchlug ſich auf ſeine Bauchbuͤrde, ſah Gretchen an, und ſchwieg. — Nathanael lies nicht ab, mich zur Heim- fuͤhrung einzuladen; allein meine Stunde war kommen. Ans wenn? war gar nicht weiter beym Juſtitzrath zu denken. Dieſen Abend weihet’ ich noch Minens Grabe, nahm von Nathanael und Gretchen das feyerliche Ver- ſprechen, dieſes Grabes Beſchuͤtzer zu ſeyn, und nun wollt ich L — (allem Vermuthen nach auf ewig) gute Nacht ſagen. Die Predigerin macht’ es mir zur Pflicht, daß ich, wenn ich bey Z 2

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,1. Berlin, 1781, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0301_1781/361>, abgerufen am 21.11.2024.